Der Junker von Ballantrae
vor dem Spiegel schmückt!«
»Oh, es gibt zweierlei Worte für dieselbe Sache: ein Wort, das übertreibt, ein anderes Wort, das bespöttelt. Sie können mich nicht mit Worten bekämpfen!« entgegnete er. »Sie sagten neulich, daß ich mich auf Ihr Gewissen verlasse. Wenn ich spotten wollte, könnte ich sagen, daß ich auf Ihre Eitelkeit baue. Sie erheben Anspruch darauf, ein homme de parole zu sein, ich, keine Niederlage einzugestehen. Nennen Sie es Eitelkeit, nennen Sie es Seelengröße – was bedeutet der Ausdruck? Aber erkennen Sie in jedem von uns ein gemeinsames Streben: wir beide leben für eine Idee!«
Aus so vielen vertraulichen Gesprächen und so großer Nachsicht auf beiden Seiten kann man ersehen, daß wirjetzt ausgezeichnet zusammen lebten. Das war nun wieder eine Tatsache, und diesmal viel ernster als zuvor. Abgesehen von den Debatten, wie ich sie wiederzugeben versuchte, herrschte zwischen uns nicht nur Höflichkeit, sondern sogar Liebenswürdigkeit, wie ich versucht bin zu sagen. Als ich krank wurde, wie es kurz nach dem großen Sturm geschah, saß er an meinem Lager und unterhielt mich mit seinen Gesprächen. Er reichte mir ausgezeichnete Hilfsmittel, die ich vertrauensvoll annahm.
Er selbst sprach sich über diesen Umstand aus. »Sehen Sie«, sagte er, »Sie beginnen, mich besser zu verstehen. Noch kurze Zeit vorher würden Sie auf diesem einsamen Schiff, wo keiner außer mir auch nur eine oberflächliche Kenntnis der Wissenschaften besitzt – würden Sie bestimmt geglaubt haben, ich wolle Ihnen ans Leben. Und bedenken Sie: erst seit Sie dem meinen nachgestellt haben, bringe ich Ihnen Achtung entgegen. Und nun sagen Sie mir, das sei Engherzigkeit.« Ich fand wenig zu erwidern. Was mich selbst betraf, so hielt ich ihn für wohlwollend mir gegenüber. Vielleicht ließ ich mich von Heuchelei täuschen, aber ich glaubte, und glaube es noch, daß er mir mit wirklicher Freundlichkeit gegenüberstand. Eine eigenartige und traurige Tatsache: sobald dieser Wechsel eintrat, nahm mein Widerwille ab, und die furchtbaren Visionen von meinem Herrn verschwanden völlig. Vielleicht lag Wahrheit in dem letzten prahlerischen Wort, das er mir gegenüber am 2. Juni äußerte, als unsere lange Reise endlich beinahe beendet war und wir in einer Windstille vorder Einfahrt des großen Hafens von New York lagen, in atemraubender Hitze, die bald darauf und überraschend von einem Wolkenbruch abgelöst wurde. Ich stand auf dem Achterdeck und blickte hinüber zu den nahen grünen Küsten, wo ab und zu dünner Rauch aufstieg aus der kleinen Stadt, unserem Ziel. Obgleich ich auch damals noch überlegte, wie ich dem Feind der Familie, die ich liebte, einen Vorsprung abgewinnen könnte, spürte ich doch eine gewisse Beklemmung, als er sich mir näherte und die Hand ausstreckte.
»Ich muß Ihnen jetzt Lebewohl sagen,« begann er, »und zwar für immer. Denn jetzt gehen Sie zu meinen Feinden, wo alle Ihre früheren Vorurteile wieder aufleben werden. Es mißlang mir nie, jemand zu fesseln, wenn ich wollte. Und selbst Sie, guter Freund – um Sie noch einmal so zu nennen –, selbst Sie haben jetztein ganz anderes Bild von mir in Ihrer Vorstellung, das Sie nie völlig vergessen werden. Die Reise hat nicht lange genug gedauert, sonst hätte ich es Ihnen noch tiefer eingeprägt. Aber jetzt ist alles zu Ende, und wir sind wieder im Kriege. Beurteilen Sie nach diesem kleinen Zwischenspiel, wie gefährlich ich bin, und sagen Sie jenen Narren« – er wies mit dem Finger auf die Stadt–, »sie sollen es sich zwei- und dreimal überlegen, bevor sie mich zum Äußersten treiben.«
Zehntes Kapitel: Begebenheiten in New York
Ich habe bereits berichtet, daß ich entschlossen war, dem Junker einen Vorsprung abzugewinnen, und das wurde auf sehr leichte Weise mit Hilfe des Kapitäns Mac Murtrie erreicht: ein Boot wurde auf der einen Seite des Schiffes teilweise beladen und dann der Junker an Bord gebracht, während ein kleineres Boot auf der anderen Seite herabgelassen wurde, das mich allein trug. Nicht schwieriger war es, die Richtung zum Hause meines Lords zu finden, wohin ich schnellstens lief. Es lag am Rande des Ortes, ein recht ansehnliches Landhaus in einem schönen Garten mit einer außergewöhnlich großen Scheune und Vieh und Pferdeställen, alles dicht beieinander. Hier ging der Lord spazieren, als ich ankam, es war sein Hauptaufenthalt, und sein Geist war jetzt ganz mit landwirtschaftlichen Angelegenheiten beschäftigt. Atemlos
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