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Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition)

Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition)

Titel: Der kälteste Winter: Erinnerungen an das befreite Europa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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bei unserem ersten Gespräch getragen hatte; den Zigaretten der Sorte Sweet Caporal, die er rauchte und deren Asche er um sich verstreute; seine wenig markanten Gesichtszüge, die in der Mitte eines großflächigen Gesichts zusammengedrängt waren; der Unmenge stumpfen, schwarzen Haars – wußte ich über ihn nur, daß er wohlhabend war, sich für die Rechte der Arbeiter stark machte und sein Geld in eine Nachrichtenagentur stecken wollte, die eine ganz andere politische Ausrichtung hatte als Reuters.
    Welche Chuzpe, sagte ich mir im stillen, daß er sich zutraut, gegen solch renommierte Konkurrenz anzutreten.

P aris
    A nderthalb Jahre nach dem Ende des Krieges und der deutschen Besatzung wirkte Paris verhalten, sah verletzt und verloren aus. Wo ich auch hinkam, überall nahm ich die Spuren des Wolfes wahr, der die Stadt zu verschlingen versucht hatte. Doch Paris hatte sich als unverdaulich herausgestellt, wie immer seit seinen Ursprüngen als Gallierlager auf einer Seineinsel, der Île de la Cité.
    Ich stand auf der Avenue des Champs-Élysées, auf der die Nazis in schwarzen Stiefeln entlangmarschiert waren, einige, so hatte ich gehört, voller Ehrfurcht und kulturellem Respekt, andere triumphierend, wieder andere verblüfft, daß ihnen die Stadt des Lichts tatsächlich in die Hände gefallen war. Doch im Jahr 1946 gab es nur wenig Helligkeit, höchstens bei Sonnenuntergang, wenn die letzten Sonnenstrahlen das Dach von Sacre Cœur, die Strebepfeiler von Notre-Dame, die Spitze des Eiffelturms trafen; höchstens in den leuchtenden Schals der Französinnen, die rasch und unbekümmert ihren täglichen Besorgungen nachgingen, zum Bäcker, zum Fleischer, zum Lebensmittelladen, auf die Gemüsemärkte, die in jenem Jahr wieder begonnen hatten, ihre Waren feilzubieten. Vielleicht hofften die Frauen, zwischen den Marktständen ihr altes Leben wiederzufinden. Doch obwohl es keine Bombenschäden gab wie in London, war das alte Pariser Leben verschwunden.
    Als ich Jahrzehnte später als Touristin zurückkehrte, quollen die Treppen und Flure des Louvre von ausländischen Besuchern über. 1946 aber war ich fast allein im Museum, abgesehen von einem älteren, angetrunkenen Aufseher, dessen Blick immer wieder in meine Richtung schweifte und dessen Mißtrauen sich in heruntergezogenen Mundwinkeln und hochgezogenen Augenbrauen ausdrückte, als könnte ich versuchen, die Mona Lisa zu stehlen, die damals im Erdgeschoß hing, oder die Geflügelte Nike von Samothrake, die am oberen Absatz einer langen weißen Marmortreppe stand.
    Ich fand eine Pension an der Rue de Longchamp und mietete ein Zimmer. Es war freudlos, schäbig und kaum geheizt.
    Abends spielte ich manchmal mit anderen Pensionsgästen Bridge. Ich hatte immer die gleiche Partnerin, die offensichtlich fest entschlossen war, mich ihr gegenüber zu plazieren, und mich in ironischem Tonfall bat, sie mit Madame anzureden. Ich konnte mir nicht erklären, was die Ironie sollte, es sei denn, sie hielt mich für eine gefühllose Amerikanerin, oder Ironie war schlicht ihre Haltung dem Leben gegenüber. Dann sah ich eines Abends, als sie die Karten austeilte, die verblichene Tätowierung innen an ihrem Handgelenk. Es war das erste, aber nicht das letzte Mal, daß ich eine solche Markierung erblickte. Sie sei Mitte dreißig, sagte sie, doch sie sah mindestens zehn Jahre älter aus.
    Sie aß ihre Mahlzeiten nicht von den Tellern der Pension, sondern füllte sie in ein Eßgeschirr, das sie im Konzentrationslager Dachau erhalten hatte, wo sie dreizehn Monate gefangen gewesen war, und schlang das Essen hastig mit dem Löffel hinunter, als erwarte sie jeden Moment, daß man es ihr wegreißen könne. Sie war die einzige unter den Pensionsgästen, die einen Bindfaden um ihre angebrochene Weinflasche band, weil sie es wissen wollte, wie sie mir sagte, wenn einer der anderen daraus trank. Nur das: es wissen.
    Da ich ein Jahr in einem Internat in Montreal verbracht hatte, entsann ich mich der schönen französischen Bezeichnungen der Spielkarten: carreau, pique, cœur, trèfle . Aber ich spielte launisch, konnte mich nicht auf die Karten konzentrieren, war unruhig, der Stadt, meiner Spielpartnerin, all der Menschen wegen, die ich kennengelernt hatte und noch kennenlernen sollte. Wir gewannen selten.
    Darüber schien sie in größere Trauer zu verfallen, als ein bloßes Kartenspiel gerechtfertigt hätte. Wenn ich ihr eine gute Nacht wünschte, reagierte sie kaum, saß zusammengesunken und mit

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