Der Kaffeehaendler - Roman
gegen Sie vorlesen, und Sie erhalten Gelegenheit, darauf zu antworten. Haben Sie irgendwelche Fragen?«
»Nein, Senhor.« Miguel merkte, wie er sich nach einer weiteren Schale Kaffee sehnte, um seine Sinne zu schärfen. Er fühlte sich abgelenkt und musste gegen den kindischen Drang herumzuzappeln ankämpfen.
»Natürlich.« Desinea gestattete sich die vage Andeutung eines Lächelns. »Sie kennen das Verfahren ja inzwischen.« Er hielt ein Blatt Papier hoch, doch seine Augen folgten ihm nicht. Er musste den Inhalt auswendig gelernt haben. »Senhor Miguel Lienzo – als Geschäftsmann auch unter den Namen Mikael Lienzo, Marcus Lentus und Michael Weaver bekannt -, Sie werden beschuldigt, durch ungebührliches Betragen Schande über unser Volk gebracht zu haben. Sie haben mit gefährlichen, übel beleumdeten und unpassenden Nichtjuden verkehrt und sie in unser Viertel geholt, wo sie sich störend verhalten haben. Wünschen Sie auf diese Beschuldigung zu antworten?«
Miguel unterdrückte ein Lächeln, gab jedoch dem Drang nach, die Süße der Luft einzuatmen. Die Verhandlung konnte eigentlich jetzt schon geschlossen werden, denn der Rat würde ihm nichts antun. Er kannte weder Joachims Namen noch Miguels Beziehung zu ihm. Die Parnassim wollten lediglich eine Erklärung hören und eine Verwarnung aussprechen.
»Senhores, ich würde gern mit einer aufrichtigen Bitte um Entschuldigung an diesen Ältestenrat und an die Nation beginnen.
Der Mann, den Sie erwähnen, ist ein holländischer Unglücklicher, mit dem ich, das räume ich ein, früher freundlichen Umgang pflegte, aber ich kann Ihnen versichern, dass meine Absichten immer ehrlich waren.« Er log nicht gern an einer heiligen Stätte wie dieser, denn es steht geschrieben, dass ein Lügner nicht besser ist als einer, der Idole anbetet. Doch es steht auch geschrieben, dass der Heilige, gesegnet sei Er, einen Mann hasst, der mit seinem Mund das eine sagt und mit seinem Herzen etwas anderes. Deshalb schien es Miguel, dass seine Lüge keine so große Sünde war, wenn er in seinem Herzen glaubte, dass sie gerechtfertigt sei.
»Er ist ein trauriger Mann, den eine geschäftliche Fehlentscheidung ruiniert hat«, fuhr er fort, »und als ich ihn auf der Straße betteln sah, gab ich ihm ein paar Stuiver. Einige Tage später verwickelte er mich in ein Gespräch, und da ich nicht grob sein wollte, plauderte ich ein wenig mit ihm. Als ich ihn das nächste Mal sah, wurde er aggressiv, rief hinter mir her und verfolgte mich. Schließlich kam er in unser Viertel und näherte sich Mitgliedern des Haushalts meines Bruders. Da sprach ich schroff mit ihm und warnte ihn, dass ich, wenn er sich weiterhin so betrüge, gezwungen wäre, ihn den städtischen Behörden zu melden. Ich glaube nicht, dass er unsere Ruhe noch einmal stört.«
»Das Geben von Almosen ist eine unserer wichtigsten Mitzvot «, sagte Joseph ben Yerushalieem. Er war einige Wochen nach Miguel nach Amsterdam gekommen und in den Ältestenrat gewählt worden, nachdem er (in wenigen Wochen) die Bedingung erfüllt hatte, dass ein Parnass mindestens drei Jahre als Jude gelebt haben musste. Und er war bekannt dafür, dass er seinen Pflichten mit der größten Härte nachkam, die das Gesetz erlaubte, und Neuankömmlingen, die sich weigerten, eine ebenso strenge Einhaltung zu befolgen, keine Gnade angedeihen ließ. »Ich lobe Sie für Ihre Großzügigkeit, Senhor,
denn Nächstenliebe preist den Namen des Heiligen. Dieser Rat weiß, dass Sie geschäftlich gelitten haben, doch die Rabbis sagen, dass ein Bettler freundlich behandelt werden muss, denn der Herr ist mit ihm.«
»Danke, Senhor«, sagte Miguel, der nicht glauben mochte, dass der Herr auch mit Joachim war.
»Dennoch«, fuhr ben Yerushalieem fort, »zeigt dieser Vorfall etwas, vor dem Sie dieses Gremium schon früher gewarnt hat. Ihr sorgloser Umgang mit den Holländern, Ihr fließendes Holländisch und Ihr Wohlgefallen an der hiesigen Gesellschaft können nur zu Schwierigkeiten zwischen unseren beiden Völkern führen. Diese Gemeinde ist gediehen, weil sie Abstand zu unseren holländischen Gastgebern gehalten hat. Der Vorfall mit dem Bettler mag geringfügig erscheinen, und Sie haben bestimmt nicht in böser Absicht gehandelt, aber er deutet darauf hin, dass Sie nicht willens sind, den Rat des Ma’amad zu befolgen, sich von diesen Leuten zu distanzieren.«
»Dieses Problem hat schon früher unsere Aufmerksamkeit erregt«, stimmte Desinea ein. »Sie sind ein Mann, der
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