Der Kaffeehaendler - Roman
gibt das Gesetz, und es gibt den Brauch, und der Brauch ist oft so realitätsnah wie ein Märchen. Solange ich den Parnassim erzähle, was sie hören wollen, ist alles gut.«
»Was sie hören wollen?«, fragte Hannah und gestattete sich dabei den Anflug eines Lächelns. »Sie haben sie belogen?«
»Es waren nur kleine Lügen. Die bedeutsamen wollten sie nicht hören.«
»Aber ist es nicht eine Sünde zu lügen?«
»Sie hänseln mich, Senhora. Es ist wohl eine Sünde, doch eine belanglose. Ein Geschäftsmann lügt ständig. Er lügt, um einen Handel zu seinem Vorteil abzuschließen, oder er verdreht bestimmte Tatsachen. Er kann lügen, um seine Position besser aussehen zu lassen, als sie ist, oder schlechter, je nachdem, welche Ziele er verfolgt. Er schadet niemandem damit. Diese Lügen sind lediglich die Regeln des Geschäftslebens, und diese Regeln gelten auch im Umgang mit dem Ma’amad.«
»Aber sie gelten nicht für eine Frau, wenn sie mit ihrem Ehemann spricht?« Hannah hatte nur nachfragen wollen, doch in dem Augenblick, in dem sie die Worte aussprach, merkte sie, dass sie ein Gewicht besaßen, das sie nicht beabsichtigt hatte.
»Das kommt auf den Ehemann an«, erwiderte Miguel anzüglich.
Ihr Magen verkrampfte sich vor Angst. Sie ging zu weit. »Dieser Unterschied zwischen Gesetz und Brauch ist sehr verwirrend«, sagte sie rasch, in der Hoffnung, das Gespräch wieder auf ein unverfänglicheres Thema zu bringen.
»Der Ma’amad ist ein politisches Gremium«, sagte er. »Bei den Tudescos gibt es Rabbis, die das Gesetz den Politikern überlassen, bei uns dagegen ist es umgekehrt. Manchmal vergessen sie die Pracht der Heiligen Thora; sie vergessen, warum wir hier sind, das Wunder, dass wir lebendige Juden sind und keine toten oder Papisten.« Er nahm einen letzten Schluck von seinem Kaffee und setzte dann die Schale ab. »Ich danke Ihnen für Ihre Gesellschaft«, sagte er zu ihr, »aber jetzt muss ich gehen. Ich habe einen Termin.«
»Wie können Sie einen Termin haben, wenn Sie unter dem Bann stehen?«
Er lächelte herzlich. »Ich stecke voller Geheimnisse«, sagte er. »Genau wie Sie.«
Vielleicht wusste er ja doch alles – von der Kirche, der Witwe, von allem. Während sie zuschaute, wie er das Haus verließ, dachte sie, sie müsse es ihm erzählen. Ungeachtet der Konsequenzen, sie musste es ihm sagen. Dann konnte sie ihm auch von der Witwe erzählen, und ihr Leben wäre in seiner Hand. An ihrem Getränk nippend, überlegte sie, dass es gar nicht so furchtbar wäre, wenn ihr Leben in seiner Hand war.
Das Erste, was Miguel sah, als er den Singenden Karpfen betrat, war Alonzo Alferonda, der krötengleich auf einer Bank hockte und leise mit zwei Holländern von niederer Herkunft redete. Er erhob sich, als er Miguel erblickte, und kam auf seinen kurzen Beinen auf ihn zugeeilt. »Senhor«, rief er ungeduldig, »ich bin entzückt, von Ihrem Sieg zu hören.«
Miguel schaute sich um, obwohl er nicht geneigt war, sich an einem Tag, an dem er genau genommen kein Mitglied der Gemeinde war, um Ma’amad-Spitzel zu sorgen. »Ich habe nicht erwartet, Sie hier zu sehen.«
»Ich würde Ihnen gern etwas zu trinken spendieren, um Ihren Sieg über die Pharisäer zu feiern.«
»Ein andermal vielleicht. Ich habe gleich eine Verabredung.«
»Hat sie etwas mit dem Kaffeegeschäft zu tun?«, fragte Alferonda.
»Dieses Kaffeegeschäft wird noch mein Ruin. Parido hat mich an der Börse bedrängt und wollte unbedingt wissen, was ich damit zu schaffen habe. Ich weigerte mich zu antworten, und ehe ich mich versah, stand ich vor dem Ma’amad.«
»Oh, er ist durchtrieben, aber am besten machen Sie ihm
einen Strich durch die Rechnung, indem Sie mit Ihrem Unternehmen Erfolg haben.«
Miguel nickte. »Ich möchte Sie etwas fragen, Alonzo. Sie wissen mehr über Kaffee als ich; Sie trinken ihn seit Jahren. In einer von einem Engländer geschriebenen Broschüre habe ich gelesen, Kaffee unterdrücke die Fleischeslust, doch ich habe der Frau meines Bruders welchen gegeben, und sie schien recht angeregt davon.«
»Der Frau Ihres Bruders, sagen Sie? Ho, Miguel, ich hätte nicht gedacht, dass Sie ein solcher Spitzbube sind. Und ich muss Sie loben, denn sie ist ein hübsches Ding und in anderen Umständen dazu, sodass Sie sich nicht wegen ungewollter Resultate sorgen müssen.«
»Ich habe nicht vor, meinen Bruder zum Hahnrei zu machen. Ich habe genügend Probleme. Ich frage mich nur, ob der Kaffee ihr wohl bekommt.«
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher