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Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
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den Zahlungstermin um Wochen hinausschieben, ehe Nunes so wütend wurde, dass er ihm mit dem Gericht oder dem Ma’amad drohte. Die Sache mit den fünfhundert Gulden war also längst nicht so schrecklich, wie er sich eingeredet hatte.
    In wesentlich besserer Stimmung tat er sich an einem Pieter-Heftchen gütlich, das er erst zweimal gelesen hatte. Das Wasser für seinen Kaffee kochte noch nicht, als Annetje auf der Wendeltreppe auftauchte, den Kopf schelmisch schief gelegt, sodass Miguel irrtümlich annahm, sie hätte Verlangen nach ihm. Ihm war eigentlich nicht nach amourösen Abenteuern zumute, aber da sich ein freier Vormittag vor ihm erstreckte, gab es keinen Grund, warum er nicht ein wenig Enthusiasmus aufbringen sollte. Annetje jedoch wollte ihm bloß mitteilen, dass die Senhora ihn im Wohnzimmer erwarte.
     
    Warum sollte sie Miguel nicht auf ein Gespräch zu sich bitten? Sie hatte das zwar noch nie getan, aber Hannah sah nichts Ungehöriges daran, freundschaftliche Beziehungen mit ihrem Schwager zu pflegen. Daniel würde an der Börse sein, und er
brauchte nichts davon zu erfahren, selbst wenn es unschicklich sein sollte, was es nicht war. Und natürlich konnte sie sich auf Annetjes Schweigen verlassen. Falls das Mädchen Verrat im Sinn hatte, standen ihr ganz andere Mittel zur Verfügung.
    Miguel trat ein, in seine strenge holländische Tracht gekleidet, und verneigte sich leicht. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, und die Haut darunter war dunkel, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen.
    »Ja, Senhora?«, sagte er in einem Tonfall, mit dem es ihm gelang, müde und zugleich gewinnend zu klingen. »Sie haben mich mit einer Einladung geehrt?«
    Annetje stand hinter ihm und grinste wie eine Kupplerin.
    »Mädchen«, sagte Hannah zu ihr, »hol mir meine gelbe Haube. Die mit den blauen Steinen.«
    »Senhora, die Haube haben Sie seit einem Jahr nicht mehr getragen. Ich weiß nicht, wo sie ist.«
    »Dann fang lieber gleich an zu suchen«, antwortete Hannah. Später würde sie sich einiges anhören müssen. Annetje würde ihr eine Standpauke halten, ihrer Herrin sagen, es sei falsch, so mit ihr zu sprechen, ihr zu drohen und sie zu ärgern. Aber diesen Problemen würde Hannah sich widmen, wenn sie sich stellten. Fürs Erste würde Annetje es nicht wagen, vor Miguel ungehorsam zu sein.
    »Ja, Senhora«, erwiderte sie in überzeugend unterwürfigem Ton, bevor sie sich demütig aus dem Zimmer entfernte.
    »Es ist am besten, ihr eine Aufgabe zu geben, damit sie ihre Zeit nicht vor Schlüssellöchern verbringt«, sagte Hannah.
    Miguel nahm Platz. »Sie ist doch ein recht braves Mädchen«, entgegnete er geistesabwesend.
    »Ich bin sicher, das wissen Sie am besten.« Hannah spürte, wie sie errötete. »Ich muss Ihnen danken, dass Sie sich für mich Zeit nehmen, Senhor.«
    »Ich bin es, der zu danken hat. Die Unterhaltung mit einer
bezaubernden Dame ist ein weitaus angenehmerer Zeitvertreib als Bücher und Zeitungen.«
    »Ich hatte vergessen, dass Ihnen diese Dinge zur Verfügung stehen. Ich hatte gedacht, Sie sitzen still und allein da unten, aber das Lernen befreit Sie von der Langeweile.« »Ich glaube, es ist schrecklich, nicht lesen zu können«, sagte er. »Empfinden Sie es als Verlust?«
    Hannah nickte. Ihr gefiel die Sanftheit seiner Stimme. »Mein Vater hielt das Lernen für mich und meine Schwestern für unpassend, und ich weiß, dass Daniel ebenso denken wird, wenn wir ein Mädchen bekommen, obgleich ich Senhor Mortera, den Rabbi, habe sagen hören, eine Tochter dürfe lernen, weil eine Ehefrau keine Zeit dafür hat.« Sie hob die Hand, um sie sich auf den Bauch zu legen, änderte dann jedoch ihre Meinung. Sie war sich ihres zunehmenden Umfangs bewusst geworden, des schwellenden Drucks auf ihr Gewand, und wenn dieses Gefühl sie auch meistens tröstete, wollte sie nicht, dass Miguel in ihr nichts anderes sah als eine Frau, die ein Kind unter dem Herzen trägt und immer dicker wird.
    »Es heißt, dass es bei den Tudescos nicht so ist«, fuhr sie fort, halb in Angst, dass sie daherplapperte wie eine Närrin. »Bei ihnen lernen die Frauen lesen, und man gibt ihnen fromme Bücher, die in die Volkssprache übersetzt sind. Ich finde das viel besser.«
    Ein merkwürdiger Schauer durchfuhr ihren Körper, als wäre sie soeben von einer Brücke oder vor einen vorbeiratternden Lastkarren gesprungen. Noch nie hatte sie gewagt, derartige Dinge laut auszusprechen. Miguel war natürlich nicht ihr Ehemann, aber er war

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