Der Kaffeehaendler - Roman
öfter tat, seiner Sammlung von Heften zu. Seit seiner Ankunft in Amsterdam hatte Miguel seine Liebe zu spanischen Abenteuerromanen, romantischen Erzählungen, aus dem Französischen übersetzt, wundersamen Reiseberichten und vor allem deftigen Kriminalgeschichten entdeckt. Besonders gern las er jene über die Abenteuer des verwegenen Pieter, eines raffinierten Banditen, der den dummen Reichen in und um Amsterdam jahrelang arglistige Streiche gespielt hatte. Geertruid hatte ihn mit diesem schurkischen Helden bekannt gemacht, der, so meinte sie, gemeinsam mit seiner Frau Mary die Gerissenheit der Holländer verkörpere. Sie las die Heftchen begierig; manchmal hörte ihr ständiger Begleiter Hendrick ihr dabei zu, manchmal auch eine ganze Schenke voller Männer, die dann lachten und johlten und auf den Dieb tranken. Waren die Geschichten wahr, oder waren sie bloße Erfindungen wie Don Quichotte ?
Miguel hatte den Verlockungen dieser Geschichten zunächst widerstanden. In Lissabon hatte er sich nie um Geschichten über Mörder und Hinrichtungen geschert, und hier hatte er beim Studium der Thora genug zu lesen. Dennoch war er irgendwann in den Bann des verwegenen Pieter geraten; es entzückte Miguel, wie der Gauner seine eigene Falschheit zelebrierte. Die Conversos in Lissabon hatten aus Notwendigkeit gelogen, selbst diejenigen, die sich den Katholizismus voll zu Eigen machten. Ein Neuchrist konnte jederzeit von einem Opfer der Inquisition verraten werden. Miguel hatte ständig gelogen, Tatsachen über sich verschleiert, in der Öffentlichkeit Schweinefleisch gegessen; er hatte alles getan, um seinen wahren Glauben zu verbergen. Die Heimlichtuerei war immer eine Last gewesen, Pieter dagegen genoss seine Falschheit. Miguel war hingerissen von diesen Geschichten, weil er wie Pieter ein Gauner sein wollte und kein Lügner.
Heute Nacht versuchte er, sich in einer seiner Lieblingsgeschichten zu verlieren: ein reicher Bürger, geblendet von Marys Schönheit, wollte Pieter zum Hahnrei machen. Während sie ihn mit ihrem Charme und ihren Tricks ablenkte, trugen Pieter und seine Männer den gesamten Besitz des Bürgers davon. Sogar seiner Kleider beraubten sie ihn, warfen ihn aus seinem eigenen Haus, öffneten für die Leute aus dem Dorf die Speisekammer des Mannes und erlaubten ihnen, sich an seinem Reichtum zu laben. Und so sorgte Pieter auf seine Weise für Gerechtigkeit.
Als er das kleine Bändchen zuklappte, dachte Miguel sofort wieder an Weinbrand und Kaffee.
Nachmittags erhielt er einen Brief von dem Wucherer Alonzo Alferonda. Alferonda eilte der Ruf voraus, dass er sehr unangenehm werden konnte, wenn man sich ihm widersetzte – Dutzende geblendete und gelähmte Schuldner in Amsterdam konnten das bezeugen. Aber Miguel fiel es schwer, Alferondas humpelnde Opfer mit dem feisten, jovialen Burschen in Verbindung zu bringen, zu dem er eine mittlerweile verbotene Freundschaft aufrecht erhielt. Der Ma’amad hätte Miguel wegen seiner Verbindung zu einem Mann, der verstoßen worden war, zugrunde gerichtet, doch Alferondas angenehme Gesellschaft war ihm das Risiko wert. Selbst als Verbannter verfügte er über sämtliche wichtigen Informationen, und er zögerte nicht, sie weiterzugeben.
Vor einigen Monaten hatte Miguel von einem Gerücht gehört, und Alferonda erklärte sich bereit, alles darüber herauszufinden. Jetzt behauptete er, etwas Wichtiges erfahren zu haben, und schlug ein Treffen vor – stets ein heikles Unterfangen, das jedoch mit ein wenig Vorsicht meistens gut zu bewerkstelligen war. Miguel schrieb Alferonda, er schlage vor, sich in dem Kaffeehaus zu treffen, auf das er durch einige Männer, die er vom Ostindienhandel kannte, gestoßen war.
Miguel wusste nur, dass die Schenke in der Plantage lag, die sich östlich der Vlooyenburg erstreckte. Endlose Wege, die sich durch schön gestaltete Gärten zogen, rechtwinkelig angelegte Pfade kreuzten sich mit Gehwegen, wo sich das Volk tummelte. Die Bürgermeister hatten bestimmt, dass auf dem Grün keine festen Häuser stehen durften, deshalb waren alle Gebäude hier aus Holz und konnten jederzeit auseinander genommen werden, wenn die Stadt dies beschließen sollte. An warmen Abenden wurde die Plantage zu einem Vergnügungspark für diejenigen, die das nötige Kleingeld hatten. Spaziergänger konnten zwischen Gruppen von Fiedlern und Pfeifenspielern umherschlendern. Auf den gut beleuchteten Wegen hatten Händler Tische aufgestellt und schenkten Bier aus und
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