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Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
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schlief er lieber hier als im Priesterzimmer, außer, wenn er sich die Treppen hoch in Annetjes Dachstübchen schlich.
     
    Ihr freudloses Mahl wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Der Parnass, Senhor Parido, betrat den Raum und verneigte sich auf seine übertrieben förmliche Weise. Wie ihr Mann kleidete sich Parido wie ein Portugiese, und obwohl sie damit aufgewachsen war und den Anblick von Männern in bunten Anzügen und mit riesigen Hüten nicht ungewöhnlich fand, erschien ihr in Amsterdam derartige Kleidung ein wenig
lächerlich. Zumindest hatte Parido einen anständigen Schneider, und seine Anzüge in Rot und Gold und leuchtendem Blau wirkten an ihm irgendwie passender als an ihrem Mann. Parido hatte breite Schultern und eine muskulöse Figur, ein zerfurchtes Gesicht und trübe Augen.
    Er strahlte eine Melancholie aus, die Hannah nie wirklich verstand, bis zu jenem Tag, an dem sie ihn mit seinem einzigen Sohn an der Hand auf der Straße gesehen hatte. Der Junge war in ihrem Alter, aber schwachsinnig, und er johlte wie der Affe, den sie einmal in einem Wanderzirkus gesehen hatte. Parido hatte keine weiteren Söhne, und seine Frau war zu alt, um noch welche zu bekommen.
    Paridos Traurigkeit berührte Daniel nicht. Hannah wäre überrascht gewesen, wenn sie ihm überhaupt auffiel. Daniel sah nur die Größe von Paridos Haus, seine teuren Kleider, den Reichtum, die großzügigen Geschenke an wohltätige Einrichtungen. Parido war einer der wenigen Männer in der Stadt, die, Juden oder Nichtjuden, eine Kutsche besaßen, und er hielt sich seine eigenen Pferde in einem Stall am Stadtrand. Im Gegensatz zu Lissabon war das Reisen zu Pferde in Amsterdam nicht allgemein gestattet, jede Ausfahrt musste im Rathaus bewilligt werden. Obwohl also die Kutsche geringen praktischen Nutzen hatte, neidete er Parido ihre glänzende Vergoldung, die gepolsterten Sitze, die staunenden Blicke der Fußgänger. Das war es, was Daniel sich wünschte. Neid. Er wollte beneidet werden, aber er hatte keine Ahnung, wie er das erreichen sollte.
    Daniel begrüßte den Parnass umständlich. Er stürzte fast, als er vom Tisch aufstand, um die Verbeugung zu erwidern. Dann teilte er Hannah mit, er und Senhor Parido würden sich in das vordere Zimmer zurückziehen. Das Mädchen solle ihnen Wein bringen – eine Flasche von seinem besten Portugieser – und danach gleich wieder gehen, ehe sie eine Kostprobe ihres Mundwerks lieferte.

    »Vielleicht würde sich uns der ältere Senhor Lienzo gern anschließen«, schlug Parido vor. Er strich sich über den Bart, den er modisch kurz und spitz zulaufend trug wie sein Namensvetter auf einem bekannten Gemälde.
    Miguel schaute vom Rest seines gebratenen Herings auf. Er hatte auf Paridos Verbeugung nur mit einem Nicken reagiert. Jetzt starrte er ihn an, als hätte er sein Portugiesisch nicht verstanden.
    »Mein Bruder hat sicher anderes zu tun«, meinte Daniel.
    »Das ist wohl wahr«, stimmte Miguel zu.
    »Bitte, warum kommen Sie nicht mit uns?«, schlug Parido erneut vor, mit ungewöhnlicher Sanftheit in der Stimme. Miguel konnte nicht ablehnen, ohne unhöflich zu erscheinen.
    Darum nickte er heftig, beinahe so, als versuchte er, sich etwas aus dem Haar zu schütteln, und verschwand mit den beiden Männern im Vorderzimmer.
     
    Hannah hatte trotz ihrer Vorsätze, den Wünschen ihres Mannes zu gehorchen, angefangen zu lauschen. Vor einem Jahr hatte sie Annetje dabei erwischt, wie sie in der Tradition holländischer Dienstmädchen ihr Ohr an die schwere Eichentür im Vorraum presste. Von drinnen drang Daniels nasale Stimme gedämpft und unverständlich durch die Wände. Sie konnte sich inzwischen nicht mehr daran erinnern, wen das Mädchen belauscht hatte. Daniel und einen Spekulanten? Daniel und einen Geschäftspartner? Vielleicht auch Daniel und diesen garstigen kleinen Porträtmaler, der einmal, als er Hannah allein antraf, versucht hatte, sie zu küssen. Als sie protestierte, sagte er, sie sei sowieso zu plump für seinen Geschmack.
    Hannah war in den Flur getreten und hatte Annetje mit dem Ohr an der Tür vorgefunden, die schlammfarbene Haube vor lauter Eifer nach hinten verschoben.

    Hannah hatte die Hände in die Hüften gestemmt und eine strenge Miene aufgesetzt. »Du darfst nicht lauschen.«
    Annetje hatte sich einen Moment lang von der Tür abgewandt, ohne auch nur den Anflug eines Lächelns auf ihrem blassen holländischen Gesicht. »Doch«, hatte sie gesagt, »ich muss«, und ihre

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