Der Kaffeehaendler - Roman
aufschlussreichen Memoiren des Alonzo Alferonda
Es ist schwer, meinen christlichen Lesern genau zu erklären, was der Cherem , die Exkommunikation, für einen portugiesischen Juden bedeuten kann. Denjenigen von uns, die unter der Fuchtel der Inquisition oder in Ländern wie England oder der Türkei gelebt haben, wo unsere Religion verboten war oder wo sie kaum toleriert wurde, erschien es wie ein kleiner Vorgeschmack aufs Paradies, in einem Ort wie Amsterdam zu wohnen. Wir durften uns versammeln und unsere Feiertage und Rituale einhalten, unsere Texte bei Tageslicht studieren. Für uns, die wir einem kleinen Volk angehören, das dazu verdammt ist, kein Land zu haben, das wir unser Eigen nennen können, war allein die Freiheit zu leben, wie wir wollten, eine Glückseligkeit, für die ich Gott jeden Tag, den ich mit meinen Brüdern in Amsterdam verbrachte, dankte.
Natürlich gab es aus der Gemeinschaft Ausgestoßene, die das überhaupt nicht kümmerte. Manche ließen das, was sie als eine übertrieben ängstliche und anspruchsvolle Lebensweise ansahen, gern hinter sich. Sie schauten sich unsere christlichen Nachbarn an, die aßen und tranken, was ihnen gefiel, für die der Sabbat, sogar ihr Sabbat, ein Tag wie jeder andere war, und begriffen diese Freiheiten als Erleichterung. Die meisten von uns wussten jedoch, wer sie waren. Sie waren Juden, und die Angst vor der Macht des Ma’amad, einem Menschen
seine Identität zu nehmen, sein Selbstwertgefühl und seine Zugehörigkeit, war wahrhaft groß.
Solomon Parido tat, was er konnte, um mich zum Verfemten zu machen, doch ich hätte ja auch woanders hingehen und meinen Namen ändern können. Niemand hätte gewusst, dass ich Alonzo Alferonda aus Amsterdam bin. Ich war ein Meister der Täuschung.
Und so fasste ich einen Entschluss. Ich würde ihn verwirklichen, aber die Zeit dafür war noch nicht gekommen. Ich hatte Pläne mit Parido, und ich würde Amsterdam nicht verlassen, ehe ich sie wahr gemacht hatte.
8
Hannah meinte zu wissen, was Kaffee war, aber ihr war nicht klar, warum Daniel Miguel davon abhalten wollte, damit zu handeln, oder wieso Miguel glaubte, dass irgendjemand das Zeug kaufen wollte. Sie hatte ein ihr verdächtiges Gespräch zwischen Daniel und Miguel mitgehört; und hier, in Miguels Kellerraum, fand sie nun einen Beutel mit merkwürdig scharf riechenden Beeren in der Farbe welker Blätter. Sie steckte eine in den Mund und kaute sie. Sie war hart und bitter und verursachte einen leichten Schmerz an ihren Zähnen. Was konnte, so fragte sie sich, jemand an einer solch widerlichen Substanz finden?
Eigentlich sollte sie wohl nicht in Miguels Sachen herumkramen, aber sie behielt ja alles, was sie dort entdeckte, für sich … Miguel erzählte ihr nie etwas über sein Leben, und wie sonst sollte sie etwas in Erfahrung bringen? Nur durch eigene Nachforschungen hatte sie von seinen Schulden und seinen Problemen mit Parido und den Drohbriefen erfahren. Manchmal beauftragte sie Annetje, Miguel heimlich zu folgen. Daher wusste sie auch von seiner eigenartigen Freundschaft zu einer hübschen holländischen Witwe. Einmal hatte Annetje Hannah sogar dazu verleitet, durch das Fenster einer Schenke zu spähen, und sie hatte die Frau, die ihr stolz und wichtigtuerisch erschien, selbst gesehen. Was hatte die Frau denn schon Großartiges geleistet, außer einen Mann mit Geld zu heiraten und
ihn zu überleben? Ein anderes Mal, als die beiden offensichtlich betrunken waren, brachte er die Holländerin mit heim, weil er glaubte, sie und Daniel wären mit einem Geschäftspartner essen gegangen. Die Witwe hatte sie angestarrt, bis Hannah errötete, und dann waren die zwei hinausgestürzt und in kindisches Gelächter ausgebrochen. Hannah fand, dass Miguel, wenn er mit einer Frau befreundet sein wollte, doch eine wählen sollte, die nicht so albern war, eine, die im selben Haus wohnte wie er.
Sie öffnete den Beutel erneut, nahm noch eine Hand voll Beeren heraus und ließ sie durch ihre Finger gleiten. Vielleicht sollte sie mehr davon essen, sich an den bitteren Geschmack gewöhnen. Wenn Miguel ihr irgendwann vorschlagen sollte, Kaffeebeeren zu essen, könnte sie lachen und sagen: »Oh, Kaffee, wie köstlich!«, und sich gleich mehrere Bohnen in den Mund stecken, als hätte sie ihr Leben lang bittere Früchte gegessen – was schließlich auch zutraf. Sie suchte sich sorfältig eine weitere Beere aus und zermalmte sie mit den Backenzähnen. Es würde einige Zeit dauern, bis
Weitere Kostenlose Bücher