Der Kaffeehaendler - Roman
waren großzügig mit ihren Spenden gewesen. Die Kirche diente auch als
Asyl, denn obwohl der Katholizismus unter dem Schutz des Gesetzes stand, waren die Papisten nicht sehr beliebt in der Bevölkerung, die Unterdrückung durch die Spanier war noch nicht vergessen. Hannah hatte einmal gesehen, wie Pater Hans durch die Straßen gehetzt und dabei mit Mist beworfen wurde.
Hannah fand einen Platz in der ersten Reihe. Sie verlor sich in den vertrauten Klängen der Orgel und ließ ihre Gedanken schweifen. Sie dachte an ihr Kind – eine Tochter sollte es sein. Das hatte sie letzte Nacht geträumt. Die meisten Träume waren bloß alberne Illusionen, aber dieser schien so real. Was für ein Segen ein kleines Mädchen sein würde! Sie konnte das Baby in ihren Armen beinahe schon spürte, doch als der Priester anfing, seine Gebete zu intonieren, wurde sie aus ihrer Träumerei gerissen.
Vielleicht war es falsch gewesen, in ihrer früheren Religion Trost zu suchen, aber Annetje hatte sie so geschickt dazu überredet herzukommen – und danach hatte sie keine Wahl mehr. Außerdem wollte sie sich an all jenen Männern rächen, die ihr die Wahrheit vorenthalten oder Halbwahrheiten erzählt hatten. Wie konnte sie selbst entscheiden, ob sie Jüdin sein wollte oder nicht? Sie konnte sich ihren Glauben ebenso wenig aussuchen wie ihr Gesicht oder ihre Veranlagung. Während sie dort saß und den Gebeten, die durch den Raum hallten, nur mit einem Ohr lauschte, merkte Hannah, wie ihr Ärger auf Daniel wuchs. Wieso zwang er ihr eine neue Form der Religionsausübung auf, sagte ihr aber nichts über die Gebräuche? Durfte sie sich über diese Ungerechtigkeit nicht beklagen? Andere Frauen sagten ihren Ehemännern die Meinung, schalten sie auf offener Straße, weil sie betrunken oder faul waren. Es war falsch, befand sie ungestüm und staunte über sich selbst, als sie sich mit der Hand auf den Schenkel klatschte.
Nach dem Gottesdienst plauderte das Dienstmädchen liebenswürdig, während sie die Treppe hinabstiegen, aber
Hannah war nicht nach müßigem Geschwätz zu Mute. Sie wollte weg, nach Hause, irgendwohin. Sie sollte Annetjes gute Laune genießen, dachte sie. Das Mädchen war am umgänglichsten, wenn es nach ihrem Willen ging, und sie freute sich so darüber, Hannah in die Kirche begleitet zu haben, dass sie jetzt besonders nett war. Aber wieso, fragte sich Hannah, sollte sie Wert auf die Launen ihrer Magd legen?
Das war eine Ungerechtigkeit, die sie nicht erdulden musste. Gegen Daniel konnte sie kaum rebellieren, aber von ihrem Mädchen brauchte sie sich nichts gefallen zu lassen. Diese Drohungen, Daniel von ihren Kirchgängen zu berichten, waren Unsinn. Warum sollte er ihr glauben? Daniel hielt nicht mehr von ihr als von einem Hund.
Nach ihren Gebeten traten sie aus der Kirche und gingen mit den anderen Gläubigen den Oudezijds Voorburgwal entlang. Hannah erlaubte sich, die Anonymität in der Menge für ein paar süße Augenblicke zu genießen, bevor sie in ihren trostlosen Alltag zurückkehrte.
»Meinen Schleier und meinen Schal, bitte«, sagte sie zu dem Mädchen. Sie sprach schneller, als sie beabsichtigt hatte, sodass ihre Worte wie ein Befehl klangen. Sie machte noch einige Schritte, ehe sie merkte, dass Annetje stehen geblieben war und jetzt grinsend hinter ihr stand.
»Komm rasch«, sagte Hannah. »Jemand könnte mich sehen.«
»Eine Frau sollte sich nicht vor der Welt verstecken müssen«, erwiderte Annetje und trat einen Schritt nach vorn. »Nicht, wenn sie so hübsch ist wie Sie. Wir sollten einen Spaziergang machen.«
»Ich will keinen Spaziergang machen.« Zorn stieg in ihr auf, und sie war nicht in der Stimmung, sich zu zügeln. Annetje neckte sie gern, nahm sich Freiheiten heraus, wagte sich bis an die Grenzen ihrer Macht, doch das lag nur daran, dass Hannah sie immer gewähren ließ. Was würde geschehen,
wenn sie sich weigerte, sich ihr widersetzte? »Gib sie mir«, verlangte sie.
»Sie sind zu prüde. Ich finde, wir sollten der Welt Ihre große Schönheit zeigen.«
»Meine Schönheit«, sagte Hannah, »geht die Welt nichts an. Gib mir meine Sachen.«
Annetje trat einen Schritt zurück. Sie wurde rot, und einen Moment lang fürchtete Hannah, sie würde wütend werden. Stattdessen brach sie in schrilles Gelächter aus. »Dann holen Sie sie doch.« Und sie schürzte ihre Röcke und rannte hinaus auf den Leidekkerssteeg.
Hannah blieb reglos stehen, zu verblüfft, um sich zu bewegen. Sie war auf der anderen
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