Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
Vom Netzwerk:
Makler, einen Burschen, der gerade erst von Portugal nach Amsterdam gekommen war, bei den Schultern. »Miguel Lienzo ist wieder da!«, rief er. »Verstehen Sie mich? Versteckt euer Geld im Keller. An der Börse ist es nicht sicher – nicht, wenn Miguel Lienzo hier ist, um es euch abzunehmen!«

    Auf der Turmuhr sah er, dass die Börse in wenigen Minuten schließen würde. Warum sollte er sich mit Kleinigkeiten abgeben? Es war Zeit zu feiern. Die erbärmlichste Phase seines Lebens war ausgestanden. Der verschuldete, sich quälende Lienzo existierte nicht mehr; eine neue Ära des Aufschwungs erwartete ihn. Er brach in lautes Lachen aus, und es scherte ihn nicht, dass der junge Makler verängstigt davonhastete, scherte sich nicht um das Häufchen Holländer, die ihn anstarrten, als ob er wahnsinnig wäre. Sie alle zählten nicht, er dankte dem Urheber allen Glücks, dem Heiligen, gesegnet sei Er, dafür, dass er ihn unterstützt und ihm erlaubt hatte, sein Ziel zu erreichen.
    Und dann, wie als Antwort, kam ihm eine Idee.
    Sie stürzte mit unerwarteter Wucht auf ihn ein, und es schien ihm, als ob sie vom Himmel gefallen wäre, denn sie kam nicht aus seinem Innern, sondern von außen. Sie war ein Geschenk.
    Miguel vergaß seine Gewinne mit dem Walfischtran. Er vergaß Parido und seine Schulden. In einem einzigen Augenblick wurde ihm mit vollkommener Deutlichkeit klar, wie er mit Kaffee ein Vermögen machen würde.
    Die Vorstellung lähmte ihn. Er wusste, wenn er seine Idee wirklich umsetzen konnte, würde er reich werden, so reich wie in seinen kühnsten Träumen. Keine Bequemlichkeit, kein Wohlstand, nein: Überfluss. Er würde in der Lage sein zu heiraten, wen er mochte, und endlich die Lücken in seinem Leben schließen; er würde hebräische Kinder in die Welt setzen und ihnen alles ermöglichen; sie würden keine Kaufleute werden, die für ihr Brot schufteten, wie er es hatte tun müssen. Die Abkömmlinge von Miguel Lienzo würden feine Herren sein, Rentiers, die ihr Leben dem Studium der Thora widmen – oder, falls es Mädchen waren, große Gelehrte heiraten. Seine Söhne würden sich den heiligen Geboten verschreiben,
Geld für wohltätige Zwecke spenden, Mitglieder des Ma’a-mad sein und weise Beschlüsse fassen und unbedeutende Männer wie Parido an den Rand der jüdischen Gesellschaft verbannen.
    Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln; die Gedanken schwirrten ungeordnet in seinem Kopf umher. Immer noch stand er mitten in der Börse; während Händler und Makler sich um ihn herum tummelten, wiederholte er im Geiste seinen Plan. Er begann ein lautloses Zwiegespräch, eine so intensive und gnadenlose Befragung, wie sie beim Ma’amad üblich war. Für den Fall, dass er auf den Kopf geschlagen und das Bewusstsein verlieren und bis zum nächsten Tag durchschlafen würde, wollte er sicher sein, dass er sich an seine Idee ebenso mühelos erinnerte wie an seinen Namen.
    Er kannte den Plan auswendig. Nun musste er anfangen.
     
    In aufrechter Haltung und gemessenen Schrittes – Miguel musste an einen Mörder denken, den er einst auf seinem Weg zum Galgen, der alljährlich auf dem Dam aufgestellt wurde, beobachtet hatte – bahnte er sich seinen Weg in den Teil der Börse, wo sich die Ostindienhändler versammelten. Dort, in einer Gruppe jüdischer Kaufleute, fand er seinen Freund Isaiah Nunes.
    Für einen so jungen Mann hatte sich Nunes bereits als bemerkenswert fähiger Kopf erwiesen. Er besaß wertvolle Kontakte zur Ostindischen Kompanie Hollands, die ihm Neuigkeiten und Klatsch und zweifellos auch Profite zuschanzte. Er beschaffte sich Waren, von denen andere Händler nur träumen konnten, und zwar häufig, und er blickte dabei so schuldbewusst drein wie ein Mann, der sich unter dem Bett seiner Geliebten versteckt, während ihr Ehegatte den Raum durchsucht.
    Nunes, der sonst zur Nervosität neigte, plauderte ungezwungen
mit einigen Kaufleuten, von denen die meisten über zwanzig Jahre älter waren als er. Miguel staunte über dieses Paradox bei seinem Freund, der ängstlich und selbstbewusst zugleich war. Als der Zuckerpreis gefallen war, hatte Nunes als Einziger von Miguels Freunden Hilfsbereitschaft gezeigt. Er hatte ihm von sich aus ein Darlehen von siebenhundert Gulden angeboten, und Miguel hatte das Geld innerhalb von wenigen Wochen mit dem Kapital, das er von Daniel geborgt hatte, zurückgezahlt. Nunes mochte Angst vor Parido und dem Ma’amad haben, doch in der Stunde der Not war auf ihn Verlass

Weitere Kostenlose Bücher