Der Kaffeehaendler - Roman
selten von Juden besucht – seine Stammgäste waren Hausarbeiter und Lagerbesitzer -, und Miguel wusste, wenn ein Mann seines Volkes ihn dort sah, hatte er selbst Geheimnisse zu bewahren, sodass er unbesorgt sein
konnte. Für Geertruid, deren Ehemann Miteigentümer eines jener prachtvollen Gebäude an der Brouwersgracht gewesen war, war das Wirtshaus ein regelmäßiger Aufenthaltsort geworden.
Die Fenster der Schenke waren seltsamerweise an der Decke angebracht, sodass das Sonnenlicht das dämmrige Innere kreuz und quer durchschnitt. Die meisten Tische waren besetzt, aber der Raum war nicht voll; Männer saßen in kleinen Gruppen beisammen. Nahe der Tür las jemand mit dröhnender Stimme laut ein Flugblatt vor, während ein Dutzend Männer zuhörten und tranken.
Geertruid saß ganz hinten, sie trug einen grauen Rock und ein blaues Mieder, bescheiden und unauffällig. Sie war heute nicht im Wirtshaus, um zu feiern, sondern um Geschäfte zu machen, und sie trug keine leuchtenden Farben, mit denen sie Aufmerksamkeit erregt hätte. Sie paffte an einer Pfeife und saß eng neben ihrem Begleiter Hendrick, der ihr verschwörerisch etwas zuflüsterte, als er Miguel sah.
»Einen guten Tag, Judenmann«, sagte der Holländer mit scheinbar aufrichtiger Freundlichkeit. Er war durchtrieben; es kam vor, dass er sich in der einen Minute besonders großherzig präsentierte und in der nächsten war er der altbekannte Schurke. »Setzen Sie sich zu uns. Wie haben wir nur die ganze Zeit ohne Sie durchgestanden? Wir sind ausgedörrt wie die Wüste ohne Ihre Gesellschaft.«
Miguel nahm Platz. Nur das Wissen um seinen nahe bevorstehenden Reichtum ließ ihn die stichelnden Bemerkungen Hendricks ertragen.
»Sie sehen fröhlich aus«, sagte Geertruid zu ihm. »Ich hoffe, Sie hatten einen guten Monatsabschluss.«
»Wunderbar, Madame.« Miguel konnte sein Grinsen nicht unterdrücken.
»Ach, ich hatte gehofft, das Lächeln auf Ihrem Gesicht bedeutete, dass Sie mit mir ins Geschäft kommen wollen.«
»Das könnte es auch bedeuten«, erwiderte Miguel. Wenn Hendrick dabei war, gab er am liebsten so wenig wie möglich preis. »Aber darüber brauchen wir im Moment nicht zu sprechen.«
»Höre ich da meinen Namen?« Hendrick grinste und legte seine Hand ans Ohr. »Jemand ruft nach mir? Nun, dann werde ich Sie alleine lassen, denn Geschäftliches interessiert mich nicht. Das ist Sache der Juden, und ich habe mich um christliche Angelegenheiten zu kümmern.«
»Huren oder Trinken?«, erkundigte sich Geertruid.
Er lachte. »Das bleibt ein Geheimnis zwischen mir und meinem Schöpfer.«
»Dann sehe ich Sie morgen«, sagte Geertruid und drückte ihm sanft die Hand.
Hendrick stemmte sich hoch und schwankte heftig in Geertruids Richtung. Er packte den Rand des Tisches, um sich abzustützen. »Scheiß auf diese schiefen Fußböden, was, Judenmann? Scheiß auf sie, sage ich. Scheiß auf sie.« Er hielt einen Augenblick inne, als wartete er darauf, dass Miguel auf den Boden schiss.
Eine Frau, die ihren Diener oder Liebhaber in einem solchen Zustand sieht, müsste eigentlich zornig werden oder peinlich berührt erröten, doch Geertruid tat nichts dergleichen. Sie hatte ihre Aufmerksamkeit bereits auf eine Geschichte gerichtet, die der Mann mit dem Flugblatt vorlas. Deshalb sah sie nicht, dass Hendrick, nachdem er ein paar unbeholfene Schritte in Richtung Tür gemacht hatte, herumwirbelte, so schnell, dass er beinahe hinfiel, sich aber in letzter Sekunde an Miguels Schulter festhielt.
Der Atem des kräftigen Mannes roch bemerkenswert angenehm für jemanden, der Bier getrunken und sich an Zwiebeln gelabt hatte, doch sein Schnauzbart glänzte vor Fett, und Miguel schrak zurück vor der beunruhigenden Vertraulichkeit.
»Als ich Sie das letzte Mal sah«, flüsterte er direkt in Miguels Ohr, »fragte mich ein Mann, als ich ging, ob ich ein Bekannter von Ihnen sei. Ein jüdischer Bursche, glaube ich. Fragte mich, ob ich Interesse hätte, ihm ein bisschen nützlich zu sein.«
Miguel schaute Geertruid an, aber sie achtete gar nicht auf ihn. Sie lachte laut über etwas, das auf dem Flugblatt stand, und der Großteil der Schenke lachte mit ihr.
»Der Bursche war bestimmt ein Gauner, der Sie und mich übers Ohr hauen wollte«, log Miguel. Wer konnte dieser Jude sein? Parido? Einer seiner Spione? Daniel? Joachim, der vorgab, Jude zu sein?
»Das habe ich mir auch gedacht. Außerdem würde ich den Freund einer Freundin nie unter Druck setzen.«
»Ich bin
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