Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kaffeehaendler - Roman

Der Kaffeehaendler - Roman

Titel: Der Kaffeehaendler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Liss Almuth Carstens
Vom Netzwerk:
nimmt sie nicht zu sich, um die Sinne zu berauschen, sondern um den Verstand zu wecken. Ihre Anhänger trinken sie zum Frühstück, um wieder zu sich zu kommen, und sie trinken sie abends, damit sie länger wach bleiben.«

    Geertruids Miene wurde düster wie die der calvinistischen Prediger, die überall in der Stadt von provisorischen Kanzeln wetterten. »Kaffee ist nicht wie Wein oder Bier, das wir trinken, um uns aufzuheitern, oder weil sie den Durst löschen, oder weil sie gut munden. Dies hier macht nur noch durstiger und niemals beschwipst, und der Geschmack, seien wir ehrlich, mag kurios sein, aber nicht angenehm. Kaffee ist etwas … etwas weitaus Wichtigeres.«
    Miguel kannte Geertruid lange genug, um mit ihren Launen vertraut zu sein. Sie konnte die ganze Nacht durchfeiern oder auch mal ihre Angelegenheiten vernachlässigen und wie ein Mädchen barfuß auf dem Land umherstreifen, doch in geschäftlichen Dingen war sie ernsthaft wie ein Mann. Eine Geschäftsfrau wie sie wäre daheim in Portugal unvorstellbar gewesen, aber in Holland war ihr alles möglich.
    »Ich habe mir Folgendes überlegt«, sagte sie; ihre Stimme war kaum laut genug, um das Getöse in der Schenke zu durchdringen. »Bier und Wein machen einen Mann schläfrig, Kaffee dagegen macht ihn wach und verschafft ihm einen klaren Kopf. Bier und Wein mögen einen Mann liebestoll machen, durch Kaffee jedoch verliert er das Interesse am Fleischlichen. Den Mann, der Kaffee trinkt, kümmern nur seine Geschäfte.« Sie hielt inne, um noch einen Schluck zu nehmen. »Kaffee ist das Getränk des Handels.«
    Wie viele Male hatte Miguels Konzentration, wenn er in Schenken Geschäfte tätigte, mit jedem Humpen Bier gelitten? Wie viele Male hatte er sich gewünscht, Klarheit für eine weitere Stunde aufzubringen, wenn er über den Preislisten der Woche brütete? Ein ernüchterndes Getränk war genau das Richtige für einen Händler.
    Miguel hatte ein gewisser Eifer gepackt, und er merkte, wie er ungeduldig mit dem Fuß klopfte. Was die Schenke an Geräuschen und Bildern bot, trat in den Hintergrund. Es gab
nur noch Geertruid. Und Kaffee. »Wer würde ihn trinken?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht so recht«, räumte Geertruid ein. »Ich habe gehört, dass es irgendwo in der Stadt ein Kaffeehaus gibt – von Türken frequentiert, heißt es -, aber ich bin noch nie da gewesen. Ich kenne keine Holländer, die Kaffee trinken, es sei denn, er wird vom Arzt verordnet. Doch das wird sich ändern. In England wurden bereits Schenken eröffnet, die statt Wein und Bier Kaffee servieren, und Börsenmakler strömen in Scharen herbei, um dort ihre Geschäfte zu besprechen. Diese Kaffeeschenken werden selbst zu einer Art Börse. Es kann nicht lange dauern, bis es sie auch hier gibt, denn keine Stadt liebt den Handel so sehr wie Amsterdam.«
    »Schlagen Sie vor, ein Kaffeehaus zu eröffnen?«, fragte Miguel.
    »Die Kaffeehäuser bringen uns nichts. Wir müssen uns in die Position versetzen, dass wir sie beliefern.« Sie griff nach seiner Hand. »Die Nachfrage wird sich einstellen, und wenn wir uns auf diese Nachfrage vorbereiten, können wir sehr viel Geld verdienen.«
    Der Duft des Kaffees betörte ihn und steigerte sein Verlangen. Nein, nicht Verlangen. Gier. Geertruid war auf etwas gestoßen, und Miguel spürte, wie er sich von dieser Begierde anstecken ließ. Es war wie Panik und Jubel zugleich, jedenfalls wäre er am liebsten von seinem Sitz aufgesprungen. Rührte diese Energie von der Kraft ihrer Idee oder von der Wirkung des Kaffees her? Wenn die Kaffeefrucht einen Mann ruhig stellte, wie konnte sie dann das Getränk des pulsierenden Handels sein?
    Dennoch, Kaffee war etwas Wunderbares, und falls er hoffen durfte, dass in Amsterdam niemand plante, sich dieses neue Gewächs zunutze zu machen, könnte er sich damit vor dem Ruin retten. Sechs trostlose Monate lang hatte Miguel
sich manchmal wie in einem Wachtraum gefühlt. An Stelle seines Lebens war eine traurige Imitation getreten, das blutleere Dasein eines Verlierers.
    Er liebte das Geld, das mit dem Erfolg einherging, aber noch mehr liebte er die Macht. Er genoss die Achtung, die er an der Börse und in der Vlooyenburg genossen hatte, dem Inselviertel, wo die portugiesischen Juden lebten. Er liebte es, Gastgeber üppiger Gesellschaften zu sein, ohne sich nach der Rechnung erkundigen zu müssen. Es machte ihm Vergnügen, an wohltätige Einrichtungen zu spenden. Hier war Geld für die Armen – lasst sie essen. Hier war

Weitere Kostenlose Bücher