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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Herrenhaus ergossen. Dort sprang er vom Pferd und donnerte mit der Faust gegen die
     Tür des Hauses.
    Eine Magd öffnete. Ihre zitternden Lippen entblößten Hasenzähne. »Wichard ist krank, verehrter Herr.«
    »Wichard ist eidbrüchig.« Claudius blieb mit dem Gesicht zur Tür gewandt und rief nach Biterolf.
    Der Notar zuckte zusammen. »Was wünscht Ihr, Herr?«
    »Kommt her! Ihr sollt die Dinge schriftlich festhalten, also sollt Ihr auch mit eigenen Augen den Krankspieler sehen.«
    |275| Die Magd hob beide Hände vor den Mund. »Wirklich, er ist krank und kann nicht auf Kriegszug gehen.«
    »Tretet beiseite.«
    Es war ein großer Raum mit dunklen Wänden, an denen sich Truhen und Schränke reihten. Felle lagen hier und dort am Boden.
     Hinter einem gelblichen Leinenvorhang schimmerte Licht. Claudius trat mit großen Schritten darauf zu.
    »Bitte, Ihr dürft nicht –«, flehte die Magd. »Er ist –«
    Die Faust des Bischofs packte den Vorhang und riß ihn zu Boden. Ein Bett. Wichard bis unter die Nase in Decken gehüllt. Tatsächlich
     waren die Stirn und die spitze, unförmige Nase unnatürlich bleich.
    »Herr Bischof«, flüsterte Wichard.
    Claudius zog sich die Handschuhe aus. Dann fuhr er grob mit dem Zeigefinger über die Wange des Kranken und hielt die Hand
     in die Höhe. »Biterolf, seht Ihr das?«
    Der Notar trat näher. Weißpulvriger Talg bedeckte den Finger.
    »Wo sind Rüstungen und Waffen?« herrschte Claudius Wichard an.
    Zuerst verstand Biterolf die Antwort nicht. Dann raunte Wichard es noch einmal: »In der Kirche.«
    Draußen saß ein halbes Dutzend Reiter ab und folgte dem Bischof in die kleine Kirche. Bald kamen sie wieder, Kettenhemden,
     Beinschienen und Schwertgehänge in den Händen. Sie legten das Kriegszeug vor sich auf die Sättel und stiegen auf.
    Nach kurzem Ritt war das Fußvolk wieder erreicht. Claudius befahl, den Leichtbewaffneten Wichards Schwerter und Rüstungsteile
     zu geben. Mancher der Fußkrieger führte nichts weiter mit sich als nur einen Speer aus Eschenholz, der noch die Rinde trug,
     und war sichtlich froh, sich ein Schwert umschnallen zu können und in ein Kettenhemd zu schlüpfen.
    Der Bischof trieb sein weißes Pferd aus der Mitte der Krieger heraus und wendete, kaum daß er den Rand erreicht |276| hatte. »Hört mir zu. Ich möchte, daß ihr dort zum Horizont schaut.«
    Die Blicke folgten dem Arm des Bischofs.
    »Ihr seht die schwarze Rauchfahne, die in den Himmel hinaufragt. Weniger als einen Tagesritt von hier entfernt plündern und
     morden die Sarazenen. Dort, wo jetzt die Häuser brennen, sollten wir auf Graf Riculf treffen. Ich weiß nicht, ob er noch am
     Leben ist.«
    Einige Reiter sogen scharf die Luft ein.
    »Ich weiß auch, daß nicht wenige von euch Fußkämpfern einfache Leute sind, die den Krieg hassen und zu Hause wichtige Arbeit
     liegenlassen mußten. Manche sind nicht einmal verpflichtet, mir zu folgen, aber sie wurden bezahlt.«
    »So ist es«, rief jemand. »Weil die Herren zu feige sind, selbst zu gehen!«
    »Gut. Das sind die Dinge, die wir nun nicht mehr ändern können. Aber ich will euch sagen, was geschieht, wenn wir nicht kämpfen.
     Die Sarazenen – und ich kenne sie wohl, glaubt mir das – werden die Bewohner jedes Ortes, den sie überfallen, fragen, ob sie
     den wahren Glauben verlassen und ihren Heidengott anbeten wollen. Wer das tut, wird verschont. Nicht ein einziges Ei, nicht
     einen winzigen Holzlöffel rauben sie ihm. Ihr wißt, wie schwach der Glaube angesichts des Todes werden kann. Wenn wir die
     Sarazenenbrut nicht aufhalten, geben wir ehrbare Christenmenschen der Versuchung und der Hölle preis. Die Standhaften geben
     wir in den Tod.«
    »Und was ist mit uns? Wir sterben auch, wir sehen Haus und Familie nicht wieder.«
    »Wenn ihr sterbt, dann seht ihr sie wieder. Auf der neuen Welt.«
    »Warum haben wir keine Reliquien aus Turin bei uns? Vielleicht würden sie uns retten!«
    Claudius warf einen zornigen Blick in die Runde. »So? Die Reliquien retten uns? Und wie tun sie das, bitte? Was tun die Knochen
     eines Fingers, ein Fetzen Leinenstoff, ein |277| Tropfen getrocknetes Blut oder ein Haar, wenn die Sarazenen ihre Säbel ziehen? Nichts!«
    Biterolf erschauderte. Obwohl er die Ansichten seines Bischofs kannte, machte ihm das eben Gehörte angst. Verlegen zupfte
     er an der Mähne seiner Stute herum. Er konnte nicht mit ansehen, wie den Leuten die Münder offenstanden, wie sich Enttäuschung
     und Verwirrung in ihren

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