Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
– Jerry – der zweite Mann gewesen war: Nics Kumpel seit Kindertagen, der Versager, der Nic getötet hatte. Und sicher würden sie irgendwelche Zeugen aufgabeln, die ihn in diesen Nachtclubs gesehen hatten. Womöglich hatte er sogar Spuren in dem Bedford hinterlassen.
Keine schwierige Entscheidung also. Er warf die Schlüssel in die Luft, fing sie wieder auf und marschierte aus der Wohnung. Ließ die Tür einfach offen. Warum sollten die Bullen sie extra eintreten?
Ob Nic daran auch gedacht hätte?
35
Rebus erneuerte gerade seine alte Bekanntschaft mit den härteren Exemplaren der Leither Kneipenszene. Nicht etwa mit den charmanten frisch aufgemöbelten Bars oben am Hafen oder mit den schnieken viktorianischen Gasthäusern an der Great Junction Street oder an der Bernard Street. Um die Art von Lokalitäten zu finden, die er suchte, musste man sich schon in abgelegenere Seitenstraßen begeben, wo man nur selten einem Mitarbeiter des gar nicht weit entfernten Schottland-Ministeriums begegnete. Zunächst einmal hatte er sich vorgenommen, vier dieser Läden abzuklappern. Die beiden ersten waren Fehlanzeige. Doch als er an dem dritten vorbeifuhr, sah er rund fünfzig Meter entfernt auf dem Seitenstreifen Linfords BMW, der unter einer kaputten Straßenlampe abgestellt war. Kluger Zug, den Wagen an einer schlecht beleuchteten Stelle zu parken, aber andererseits: An der Straße war ohnehin fast jede zweite Laterne hinüber.
Rebus stoppte seinen Saab hinter dem BMW. Er betätigte die Blinkhupe: keine Reaktion. Stieg aus seinem Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Ohnehin hatte er ja nur zufällig an dieser Stelle angehalten, um eine Zigarette zu rauchen. Doch seinen Augen entging nichts. Die Straße war ruhig. In der Bellman's Bar brannte noch Licht – wenigstens früher hatte der Laden mal so geheißen. Den jetzigen Namen zu erraten, blieb jedem selbst überlassen. Wahrscheinlich war den Typen, die dort trinken gingen, der Name ohnehin völlig schnuppe.
Er ging an dem BMW vorbei und spähte unauffällig hinein. Irgendwas lag auf dem Beifahrersitz: ein Handy. Linford musste also in der Nähe sein. War vielleicht nur kurz pinkeln gegangen, obwohl er das am Telefon weit von sich gewiesen hatte. Rebus lächelte und schüttelte den Kopf. Dann sah er, dass die Türen des BMW nicht abgesperrt waren. Er öffnete die Fahrertür. Die Innenbeleuchtung ging an, und er entdeckte Linfords Notizbuch. Er nahm es in die Hand und fing an, darin zu lesen, doch plötzlich ging das Licht wieder aus. Also setzte er sich auf den Fahrersitz, machte die Tür zu und schaltete das Licht wieder ein. Unglaublich detailliert, was der Mann alles aufgeschrieben hatte. Doch was nützte das schon, wenn man entdeckt wurde? Rebus stieg wieder aus und inspizierte die wenigen anderen Autos, die in der Nähe abgestellt waren. Ganz normale alte Kisten, die mit ein bisschen Nachhilfe gerade noch durch den TÜV kamen. Barry Hutton gehörte ganz sicher keine dieser Gurken. Aber hatte Linford nicht gesagt, dass Hutton mit dem Auto hierher gekommen war? Hieß das, dass er schon wieder weg war?
Und bedeutete es ferner, dass er Linford entwischt war?
Plötzlich erschien ihm diese Version ein wenig zu blauäugig. Und so spielte er im Kopf ein paar andere Möglichkeiten durch, die ihm weit weniger gefielen. Er ging wieder zu seinem Saab und bat die Kollegen in St. Leonard's telefonisch, bei der Dienststelle in Leith anzufragen, ob dort etwas Außergewöhnliches passiert war. Die prompte Antwort: bisher eine ruhige Nacht. Er saß in seinem Wagen, rauchte drei oder vier Zigaretten, bis die Packung leer war. Dann ging er zum Bellman's hinüber und stieß die Tür auf.
Der Raum war verraucht. Weder Musik noch Flimmerkiste. Nur ein halbes Dutzend Männer, die an der Bar standen und ihn anstarrten. Kein Barry Hutton, kein Linford. Rebus holte ein paar Münzen aus der Tasche.
»Gibt's hier einen Zigarettenautomaten?«
»Nee, haben wir nicht.« Der Mann hinter der Bar sah ihn abweisend an. Rebus blinzelte müde.
»Und können Sie mir vielleicht so eine Packung verkaufen?«
»Nee.«
Er sah die anderen Gäste an. »Kann ich bei euch ein paar Fluppen kaufen?«
»Ein Pfund das Stück«, so die unzweideutige Antwort.
»Das ist ja Wucher«, sagte er.
»Dann verpiss dich, und kauf deine Kippen woanders.«
Rebus studierte in aller Ruhe die Gesichter und dann die schlichte Ausstattung des Etablissements: drei Tische, ein tiefroter Linoleumboden, holzvertäfelte
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