Der kalte Himmel - Roman
richten. Ungerührt vom Weckerklingeln schien Paul tief und fest weiterschlafen zu wollen. Kein Wunder, dachte Marie.
Umso überraschter war sie, als Paul nur wenig später fertig angezogen in der Küche erschien. Er packte Felix am Arm, während sie am Herd stand und Rühreier mit Speck für die drei Kinder bereitete. Während er auf die Eier wartete, hatte Felix gerade sein erstes Brot zerkrümelt und sich dafür eine Ermahnung von Lena eingefangen. Er verstand nicht, was Paul von ihm wollte.
» Aua « , schrie er. » Loslassen! «
Verblüfft blickten alle zu Paul hin.
» Beeil dich, Felix « , sagte er. » Wir fahren mit dem Auto. «
» Was soll das? « , fragte Marie. » Der Felix läuft zur Schule wie die beiden anderen auch. «
Erst jetzt bemerkte sie die tiefen Schatten, die unter Pauls Augen lagen. Müde sah er aus, völlig zerschlagen. Zwischen Nase und Mund hatte sich eine scharfe Linie eingegraben, eine Linie, die sie hier in der Früh, im fahlen Licht der Küche, zum ersten Mal an ihm bemerkte. Marie starrte noch auf diese Falte, als es aus ihm herausbrach.
» Nach Sonnroth wär ein bisschen weit « , sagte er.
Mit einem Schlag war es still in der Stube. Marie glaubte, dass alle ihren Herzschlag hören konnten, der laut gegen ihre Brust hämmerte.
» Wie bitte? « , kam es kraftlos aus ihr heraus.
» Einmal muss Ruhe sein « , erklärte Paul mit stumpfer Stimme. » Ich lass mich hier im Dorf nicht länger vorführen. «
Er hatte seinem Jüngsten die Winterjacke umgehängt, griff nach dem Ranzen und zog Felix entschieden nach draußen. Marie starrte entsetzt auf die Tür, als der Geruch von Verbranntem den Raum erfüllte.
» Mama, die Eier! « , rief Lena.
Mit einem Schritt war Marie zurück am Herd und riss die Pfanne herunter. Hastig kratzte sie die nicht verkohlten Teile auf die Teller, knallte die Pfanne auf die Ablage und rannte nach draußen. Paul hatte den Ford Taunus bereits aus dem Schuppen gefahren und rollte vorsichtig auf die Ausfahrt zu. Unter dem frisch gefallenen Schnee war der Boden hier vereist, es brauchte nicht viel mehr Geschwindigkeit und das Auto hätte sich um seine eigene Achse gedreht.
Mit wenigen Schritten hatte Marie den Wagen eingeholt und riss die Fahrertür auf. Felix saß auf der Rückbank und starrte teilnahmslos vor sich hin. Auch Paul blickte Marie nicht an, unverwandt starrte er durch die Windschutzscheibe und klammerte dabei seine Hände so fest um das Lenkrad, dass die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten.
» Den Felix aufgeben willst du « , sagte Marie tonlos. » Einen Dorfdeppen aus ihm machen! « , sie wurde lauter.
» Und was ist mit mir? « , entgegnete Paul bitter. » Dass alle über mich lachen, findest du in Ordnung, oder was? «
Maries Wangen röteten sich vor Zorn. » Das hat vielleicht andere Gründe. «
Nun starrte Paul sie an. » Ich glaube, ich hör nicht recht. Was denn für andere Gründe? «
Marie holte instinktiv Luft und sah ihm fest ins Gesicht. » Weil du nicht abwarten kannst, immer alles erzwingen musst. Die Hopfenmaschine hat hermüssen, obwohl kein Geld da war. Der Felix soll in die Hilfsschule, obwohl wir noch nicht einmal überlegt haben, ob es auch andere Möglichkeiten gibt. «
Während sie sprachen, hatte Paul das Lenkrad losgelassen, nun schlug er mit der flachen Hand dagegen. Was den Felix anging, war Marie so stur wie ein Esel. Es war zum Davonlaufen.
» Was denn für andere Möglichkeiten? « , sagte er entnervt.
Alles in Marie arbeitete. Sie musste etwas tun, um Paul aufzuhalten. Doch was? Da riss ihr Paul die Autotür aus der Hand, schlug die Beifahrerseite zu und gab Gas. Der Wagen schlingerte zur Hofeinfahrt hinaus, rollte weiter und war schließlich aus ihrem Blickfeld verschwunden. Fröstelnd stand Marie in der eisigen Morgenluft. Das ging so alles nicht weiter. In ihrer Familie, hier aus dem Dorf gab es niemanden, an den sie sich wenden konnte. Der einzige Mensch, der über den Tellerrand seiner eigenen Vorstellungen hinausblickte, war Alex. Vielleicht konnte sie ihr helfen?
*
In der folgenden Nacht lag Paul wach. Immer wieder blickte er zu Marie hinüber. Er spürte genau, dass auch sie schlaflos lag und mit ihren großen dunklen Augen an die Decke starrte. Sie waren sich immer einig gewesen, hatten fast alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam getroffen. Sie beide gegen die Kleingeister hier im Dorf, gegen die Frömmelei seiner Mutter. Er hatte Marie immer bewundert, wie sie dem standhielt, sich nie
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