Der kalte Himmel - Roman
bitteren Streit heute Morgen. Alles, was sie mehr in ihm gesehen hatte, hatte sie phantasiert, aus dem kostbaren Glauben heraus, dass sie für eine gemeinsame Sache kämpften. Der Zukunft ihres Jungen. In gewisser Weise hatte ihr Niklas die Augen geöffnet. Sie war eine Närrin gewesen. Sie hatte sich viel zu viele Hoffnungen gemacht. Letztlich war Niklas Cromer auch nur ein Arzt, der Karriere machen wollte, wie alle anderen. Basta.
Als Marie an den Tisch zurückkehrte, noch immer sehr aufrecht, auf dem Tablett die gefüllten Champagnergläser, konnte ihr Niklas nicht ins Gesicht sehen. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, dass die Situation für ihn noch schmerzlicher war als für sie. Blödsinn, ein absurder Gedanke, schimpfte sie dann aber mit sich und stellte die Gläser betont sorgfältig vor dem jungen Arzt, seiner Verlobten und ihren Kollegen ab.
» Hat der Mensch noch Töne … « Mathias bedachte Marie mit anzüglichen Blicken. » Und so was stolziert täglich auf unserem Klinikflur. «
Schon tätschelte er mit seiner Hand ihren Hintern und zog Marie, die vergeblich versuchte, sich von ihm los zu winden, auf seinen Schoß.
» Lass sie los. « Aus Niklas’ Worten sprach unverhohlene Wut.
» Na komm, was bist du denn so empfindlich « , gluckste Mathias unbeeindruckt, aber da war Niklas schon emporgeschnellt und hatte seinen Kollegen am Kragen gepackt.
» Du sollst sie loslassen « , schrie er.
» Jetzt halt mal die Luft an, Niklas « , griff Arnd, der zweite Kollege, ein. » Wir sind hier schließlich in einem Animierschuppen, da wird man schon mal einen Spaß machen dürfen. «
Marie hatte den Disput genutzt und sich zu Elsa an die Bar gerettet. Im Licht des Tresens wirkte ihr auffallendes Make-up plötzlich wie eine Wachsschicht, unter der ihre Haut in unnatürlicher Blässe schimmerte.
» Lass mich mal ran « , meinte Elsa ungerührt und warf Marie einen aufmunternden Blick zu.
Ein leiser Beifall von den Tischen beendete die Revuenummer der Mädchen auf der Bühne. » Baby, Baby, All the Time « tönte es nun aus der Stereoanlage, während die Tänzerinnen hinter der Bühne ihre Kostüme wechselten. Doch auch der melancholische Blues von Nat King Cole konnte Niklas nicht beruhigen. Er stand noch immer fassungslos vor seinen Kollegen, sein Gesicht war dunkel vor Zorn.
» Ihr führt euch auf wie die Idioten « , zischte er.
» Schatz « , kam es nun von Katja, die ihre Hand besänftigend auf seinen Arm drückte. » Mach dich doch nicht lächerlich « , sagte sie leise.
Widerstrebend setzte er sich nieder und nestelte nervös nach einer Zigarette aus der Packung. » Marie ist die Mutter eines Patienten « , erklärte er mit Nachdruck.
» Also, hier ist sie ’ne Animierdame « , erwiderte Mathias spöttisch und zündete sich gelassen eine eigene Zigarette an.
» Und warum wohl? « , entgegnete Niklas scharf. » Streng mal deinen Grips an! «
Mathias grinste und paffte demonstrativ.
» Das ist Privatsache, oder? « , meinte Arnd.
» Privatsache « , stöhnte Niklas verächtlich. Er zog hektisch an seiner Zigarette.
» Meine Herren? « Maries Kollegin Elsa war inzwischen an den Tisch getreten und bedachte die Runde mit kühlen Blicken. » Darf ich Sie um etwas mehr Zurückhaltung bitten? «
Niklas schlug entnervt die Augen nieder. Doch als Elsa gegangen war, hob er von neuem an: » Ich sag dir mal, warum das keine Privatsache ist. Weil die Krankenkassen bei psychischen Erkrankungen keine Kosten … «
Jetzt reichte es Katja. » Warum in aller Welt nimmst du das eigentlich so persönlich? « , unterbrach sie Niklas.
» Weil die Behandlung von Felix Moosbacher in meiner Verantwortung liegt. Was sind wir für ein Land, in dem die Psyche eines Menschen nichts wert ist? «
Marie hatte sich seit Mathias’ Anzüglichkeiten von Niklas’ Tisch ferngehalten. Doch als sie nun an einem der Nachbartische die Gläser abräumte, musste sie mit anhören, um was es am Ärztetisch ging. Niklas’ flammendes Plädoyer traf sie ins Herz. Er redet gegen eine Wand, dachte sie. Sie verstehen ihn nicht. Und noch während die Wortfetzen der Streitenden zu ihr herüberdrangen, jubilierte etwas in ihr, das stärker war als alle Scham, heftiger, als es ihr verletzter Stolz je hätte sein können. Ich hab mich doch nicht in ihm getäuscht, dachte sie und begann erst unmerklich, dann heftiger zu zittern. Wann fängt das an, hämmerte es in ihr, dass man alleine ist, mit seinem Erkennen, seinem Mut und seiner
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