Der kalte Himmel - Roman
runzelte die Stirn. » Was sagt er da? « , fragte er irritiert.
» Das ist aus der Häschenschule « , beeilte sich Marie zu erklären. » Das ist ein Kinderbuch, das ich dem Felix abends vorlese. «
» Ach! « Jetzt verstand der Rektor und lächelte erneut. » Die Häschenschule! Warte nur ab, bis du hier in der richtigen Schule bist! Die ist noch viel schöner. «
Marie und Felix betraten das Klassenzimmer, in dem sich der Amtsarzt einen provisorischen Untersuchungsraum hergerichtet hatte. Auf dem Lehrerpult befanden sich ein Fieberthermometer, eine Taschenlampe, Holzstäbchen, Formulare und ein Stethoskop, andere Utensilien lagen ausgebreitet auf der ersten Schulbank.
Der Arzt machte sich nicht die Mühe, die eintretende Mutter anzusehen. Ihren Namen entnahm er der vor ihm liegenden Liste.
» Guten Tag, Frau … ach ja, Moosbacher. Ja, wen haben wir denn da? «
Er hob den Kopf und streckte dem Jungen die Hand hin. Doch Felix dachte gar nicht daran, den Mann zu begrüßen. All seine Aufmerksamkeit wurde wie magisch von dem Stethoskop gefesselt, das er ohne Vorwarnung sofort ergriff und neugierig hin- und herwendete.
» Warum hat das Rohr zwei Ohren? « , fragte er verblüfft.
Der Arzt betrachtete den Jungen überrascht.
» Damit ich hören kann, was mir das Gerät erzählt « , erwiderte er. » So, Junge, jetzt gib mir das Stethoskop mal wieder her. «
Mit einem geübten Griff entwand er Felix das Gerät und schob ihm gleichzeitig das Hemd hoch. Sofort wehrte das Kind die Hand des Mannes ab, was diesen veranlasste, nur noch fester nach dem Jungen zu greifen.
» Warten Sie « , sagte Marie hastig, der nicht entgangen war, dass sich feine Schweißperlen auf der Stirn ihres Sohnes gebildet hatten. » Lassen Sie mich das machen, bitte. «
Der Arzt sah sie mit offener Skepsis an, ließ aber seine Hände sinken. Marie strich Felix über die feuchte Stirn und knöpfte ihm vorsichtig das Hemdchen auf. Sie streifte das Hemd ab und erschrak. Felix Unterhemdchen war bereits völlig durchgeschwitzt. Der Arzt trat nun nah an Felix heran und drückte ihm das Stethoskop auf den Rücken. Die Haut des Jungen schien zu glühen.
» Was ist los? Hat er Fieber? « , fragte der Amtsarzt.
Felix nutzte diesen Moment, in dem sich der Arzt an Marie wandte. Er griff nach dem Fieberthermometer und ratterte erneut los.
»35 , 0 °C Untertemperatur; 35 , 3 bis 37 , 4 °C Normaltemperatur, 3 7 , 5 bis 38 , 0 °C erhöhte Temperatur, 38 , 1 bis 38 , 5 °C leichtes Fieber, 38 , 6 bis 39 , 0 °C Fieber, 39 , 1 bis 39 , 9 °C hohes Fieber, 40 , 0 bis 42 , 0 °C sehr hohes Fieber. «
» Donnerwetter! « , staunte der Amtsarzt. » Da müsste ich selber nachdenken. Aber anpatschen darfst du das Thermometer trotzdem nicht. Meine Sachen müssen steril sein. «
Mit einem Satz packte er den Jungen und zog ihn zurück auf seinen Untersuchungsstuhl. Felix bekam es mit der Angst zu tun und schrie: » Lass das! «
Damit war die Geduld des Amtsarztes zu Ende. » Na, jetzt reicht es aber! Siebengescheit und frech zugleich. Da können Sie sich ja auf was gefasst machen. «
Marie wand sich vor Verlegenheit. » Er ist nur aufgeregt, Herr Doktor. Dann wird er schnell panisch. «
Sie warf einen hastigen Blick auf ihren Jungen und betete innerlich, dass das Ende dieser Prozedur doch nun erreicht sein möge. Doch da griff der Arzt nach den Holzstäbchen und legte sie Felix ohne weiteres Federlesens auf die Zunge.
» Jetzt sagst A! «
Marie schloss die Augen. In diesem Moment begann Felix wie eine Sirene zu tönen.
» Aaaaaaaaaaaaaah! «
*
Felix trompetete immer noch wie am Spieß, als Marie ihren Sohn mit hochrotem Kopf durch das Stiegenhaus der Schule zerrte. Vorbei an den anderen wartenden Müttern, vorbei an den Kindern, die mit offenem Mund auf ihren künftigen Klassenkameraden starrten. Das Lächeln des Rektors war zu Eis gefroren.
Aus dem geöffneten Zimmer im ersten Stock hörte man den Amtsarzt rufen: » Im Keim ersticken, Frau Moosbacher! Mit einem Schwererziehbaren brauchen Sie uns hier gar nicht zu kommen. Den schicken wir gleich auf die Sonderschule. «
Rektor Meyer sah Marie fragend an, als sie sich wortlos mit Felix an ihm vorbeidrängte. Endlich hatten sie den Eingang passiert.
Als Felix die Straße sah, hörte er auf zu schreien. Nach Atem ringend sah er sich um. Ein leichter Nieselregen benetzte die Gesichter von Mutter und Sohn. Marie ging vor Felix in die Knie, um ihm seine blaue Wollmütze umzubinden. Die feinen Tropfen
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