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Der kalte Himmel - Roman

Der kalte Himmel - Roman

Titel: Der kalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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und Blätter hin- und herschob.
    Immer mächtiger drangen nun die Orgelklänge, die sich aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Register ergaben, über den winterlichen Marktplatz. Als Marie erneut zu ihrem Rechenkünstler nach unten schaute, war Felix verschwunden.
    *

Mit aller Kraft drückte sich Felix gegen die schwere Kirchentür aus nachgedunkeltem Eichenholz, bis sie endlich einen Spalt nachgab und er in das Innere des Barockbaus schlüpfen konnte. Natürlich kannte er die Kirche von vielen Gottesdiensten, doch noch nie hatte er das Kirchenschiff ohne seine Familie betreten. Nun stand er hier allein und ließ seine Augen über den hellen Steinboden gleiten, während er sich vorsichtig zur Treppe hinbewegte, die hinauf zu der mit Blattgold verzierten Empore führte, auf der sich der Spieltisch der Orgel befand. In den mehrfach unterteilten buntglasigen Rundbogenfenstern ließ das hereinbrechende Licht die Passionsgeschichte lebendig werden, vor allem der Judaskuss im Garten Gethsemane schien mit seinem Licht direkt zur Empore hinzuleiten, als sich die Kirchentüre erneut, und diesmal mit einem lauten Schlag, öffnete.
    Mit wehender Soutane stürzte Pfarrer Huber den mit barockem Zierrat geschmückten Gang entlang, und nur mit einem raschen Satz gelang es Felix, sich hinter der letzten Säule vor dem Aufgang zu verbergen. Die Stufen, die der Pfarrer mit großer Hast erklomm, knarrten unter seinen Füßen. Das Orgelspiel verebbte.
    Erst jetzt sah Felix die junge Frau, die vor der Kirchenorgel saß. Ihre langen roten Haare fluteten über ihren Rücken, und die mit Licht erfüllten Fenster beleuchteten ihre Erscheinung wie mit einem milden Feuerschein. Felix hatte noch nie solche Haare gesehen.
    Er legte den Kopf in den Nacken, um dieses Schauspiel in sich aufzunehmen. Erst in diesem Moment bemerkte der Junge, dass sich über all dem barocken Glanz und Lichterfunkeln eine gewaltige Wolkendecke erhob. Ein Himmel war das wie aus Luft und Wind. Das Deckengewölbe war von einem lokalen Künstler des achtzehnten Jahrhunderts so naturalistisch ausgemalt, dass sich ein Kirchenbesucher während der langen Andachten durchaus ins Freie träumen konnte.
    » Was machen Sie hier? « Die Stimme des Pfarrers bebte vor Ärger.
    » Grüß Gott, Herr Pfarrer. Ich bin die neue Kantorin. «
    » Sie? « , erwiderte er empört. » Das wär mir neu. «
    Er musterte die Frau von oben bis unten.
    » Ich hab einen Mann aus Berlin eingestellt, Alex Brunner. «
    » Alex Brunner « , antwortete die Frau mit einer fast schon provozierenden Ruhe, » Alex Brunner, det bin ick. «
    Die Pause, die Felix atemlos mit anhörte, zog sich in die Länge.
    » Sie haben gar nicht an die Möglichkeit einer Frau gedacht, stimmt’s? « , warf Alex Brunner ein.
    » So ein Schmarrn! « , knurrte der Pfarrer. » Ich werde das umgehend prüfen lassen, Frau, Frau … «
    » Brunner « , sagte sie. » Brunner, Hochwürden. Wie ich schon sagte. «
    Marie bemerkte die ungewöhnliche Erscheinung erst, als Alex Brunner wenig später in ihren blau-weißen VW -Bus stieg. Die junge Frau trug einen auffällig bestickten Ziegenfellmantel, ihre Haare flatterten wie Feuerstreifen im eisigen Ostwind. Verwundert schaute Marie zu der Fremden, die ihrerseits die neugierigen Blicke der jungen Hopfenbäuerin zu spüren schien und mit wachen Augen und einem freundlichen Gesicht zu ihr hinüberlächelte. Felix hatte sich schon längst wieder unter dem Gestänge verkrochen und spielte mit seinen Strünken, als ob nichts gewesen wäre.
    *

Die Kirchturmuhr schlug drei Uhr nachmittags, als Marie und Felix nur wenige Tage später den Backsteinbau der Volksschule betraten. Draußen hatte ein leichtes Tauwetter eingesetzt, das den Asphalt kohlefarben glänzen ließ. Die Schuluntersuchung der künftigen Erstklässler sollte wie immer im ersten Stock des Gebäudes stattfinden.
    Am Treppenabsatz wurden sie, wie schon bei der Untersuchung von Max und Lena, von Rektor Meyer begrüßt.
    » Grüß Gott, die Moosbachers « , lächelte er entgegenkommend. » Na, Felix, freust dich schon? «
    Der Rektor beugte sich zu dem Jungen hinunter und sah ihm direkt ins Gesicht. Felix wich seinem Blick aus und starrte ins Leere. Verdutzt blickte Meyer zu Marie.
    Seine Überraschung wurde noch größer, als Felix plötzlich mit fester Stimme und in wildem Staccato loslegte: » Hasenhans und Hasengretchen gehen lustig Pfot in Pfötchen um die sechste Morgenstund durch den bunten Wiesengrund … «
    Der Rektor

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