Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
der UdSSR die Schda-now-Rede 1947 die Richtung der Entwicklungspolitik vorgegeben. Unterstützung biete sich für jene Länder an, in denen kommunistisch geführte Widerstandsgruppen tätig seien, hatte Stalins «Chefideologe» mitgeteilt. Neben Vietnam war dies damals allerdings allein die niederländische Kolonie Indonesien. Sympathisanten für die eigene Sache vermutete Schdanow aber auch in Ägypten, Indien und Syrien, wohin in der Tat zeitweilig großzügige sowjetische Entwicklungshilfe floß. Unter Chruschtschow begann dann eine gezielte «Besuchsdiplomatie», die schließlich zu Dutzenden von bilateralen Abkommen führte. Ausdrücklich galt die Friedliche Koexistenz, die Chruschtschow ansonsten als Richtlinie zwischen den Supermächten eingehalten wissen wollte, nicht für die Dritte Welt. Seit 1961 war zudem eine «Theorie der nichtkapitalistischen Entwicklung» im KPdSU-Programm verankert. Sie teilte die Entwicklungsländer in drei Kategorien ein, nach denen die Höhe der «Bruderhilfe» festgelegt wurde. Zur ersten Gruppe, den Entwicklungsländern des sozialistischen Lagers mit Mitgliedschaft im RGW, gehörten damals Nordvietnam, Kuba und die Mongolische Volksrepublik. Zur zweiten zählten die Entwicklungsländer mit «sozialistischer Orientierung». Dazu rechnete man unter anderem Angola, Algerien, Äthiopien und Syrien. Die dritte Gruppe umfaßte die Entwicklungsländer im «kapitalistischen Lager», in denen vor allem «Befreiungsbewegungen» unterstützt werden sollten.
1977 erhielt diese Hilfe für Befreiungsorganisationen sogar Verfassungsrang in der UdSSR. Der fast gleichzeitig Ende der siebziger Jahre gestartete Versuch Moskaus, sich angesichts der chinesischen Bemühungen um die NAM-Staaten mit Hilfe Kubas zur Führungsmacht der Blockfreienbewegung küren zu lassen, scheiterte allerdings auf der Konferenz in Havanna 1979. Wer nach dem Bruch Moskaus mit China Unterstützung aus dem Ostblock erhielt, hing nicht zuletzt von der gerade gültigen ideologischen Linie ab. Seit
1960 verweigerte die UdSSR vor allem jenen Entwicklungsländern «Geschenke», die weiterhin Kontakte zu den Chinesen hielten. «Bruderhilfe» floß ansonsten vor allem in die Länder an den Rändern der Sowjetunion, die einerseits als Einflußgebiet, andererseits als die durch den Westen gefährdete Peripherie galten.
Die Unterstützung aus dem Ostblock, die wie im Fall der USA formal in eine Wirtschafts- und eine Militärhilfe unterschieden werden konnte, war im Verhältnis zu den vom Westen ausgeschütteten Summen nicht sehr hoch. Noch am Beginn des letzten, wieder besonders offensiven Jahrzehnts des Kalten Krieges gab die UdSSR 1980 umgerechnet nur rund 1,58 Milliarden US-Dollar aus; das waren lediglich 0,14 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP). 31 Alle RGW-Staaten zusammen kamen in diesem Jahr auf etwa 1,8 Milliarden US-Dollar, das entsprach 0,06 % des BSP. Zum Vergleich: Allein die Bundesrepublik Deutschland investierte im selben Zeitraum ungefähr 3,5 Milliarden US-Dollar oder 0,43 Prozent des BSP. Die Ausgaben der USA lagen im selben Zeitraum bei etwa 7 Milliarden Dollar. Schwerpunktmäßig und kontinuierlich wurden bis in die achtziger Jahre jene Länder unterstützt, die fest dem sozialistischen Lager zuzurechnen waren. Noch 1984 erhielten Kuba, die Mongolei und das wiedervereinigte Vietnam rund 70 Prozent der gesamten sowjetischen Entwicklungshilfe. 32 Außerhalb des Ostblocks war die «Bruderhilfe» in der ersten Hälfte des Kalten Krieges zwischen 1955 und 1974 vor allem nach Afrika, in den Nahen Osten und nach Süd(ost)asien geflossen, während Lateinamerika, als Empfängerregion im direkten Einflußbereich der USA, deutlich vernachlässigt wurde. Immerhin erhielt Brasilien noch 1986 umgerechnet rund 300 Millionen US-Dollar sowjetische Entwicklungshilfe. In der Riege der am meisten bevorzugten Staaten stand Ägypten mit umgerechnet etwa 6,1 Milliarden US-Dollar Unterstützung an erster Stelle. Ansonsten rückten ab 1957 Indonesien, im folgenden Jahr der Irak und ab 1960 Indien auf der Empfängerliste weit nach vorn. Indien dominierte als nichtsozialistisches Land bis zum Ende des Kalten Krieges die Statistik und erhielt allein umgerechnet etwa 2,1 Milliarden US-Dollar Unterstützung. 33
Wie deutlich die strategischen Ziele des Kalten Krieges tatsächlich die Ostblock-Entwicklungshilfe bestimmt hatten, zeigte sich, als Rußland sich nach dem Untergang der UdSSR weitgehend daraus zurückzog. Die Streichung von
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