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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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stürzte nach vorn, um ihm den Weg zu versperren, doch ein gewaltiger Fußtritt in die Seite warf ihn zu Boden. Der Mann rannte davon, ohne nach rechts und links zu sehen, stürmte durch die Büsche tiefer in den Wald. Man hörte Si-dorow rufen: Er versuchte, den Flüchtigen in die Arme der Posten zu treiben. Kolossow rang nach Luft. Ihm war schwarz vor den Augen. Hoffentlich schießen sie nicht, dachte er verschwommen. Irgendwie kam er wieder in die Höhe und lief humpelnd in die Richtung, aus der die Rufe kamen, die Flüche, das wilde, unmenschliche Geheul. Ein Irrer. . . ein Sadist. . . Schade um den Hund, er war für nichts und wieder nichts gestorben.
    Stepan Basarow brüllte und wand sich wie rasend. Nur mit Mühe konnten drei Milizionäre ihn festhalten. Ein vierter versuchte, an den mit Blut und Schleim verschmierten Armen die Handschellen einschnappen zu lassen. Einer der Ermittler band seinem Kollegen mit einem Gürtel rasch den Unterarm ab (wie sich später herausstellte, hatte Basarow ihm den Arm bis auf den Knochen durchgebissen). Sidorow stand in der klassischen Pose des Schützen daneben, zielte auf Basarow und rief: »Keine Bewegung! Bleib ganz ruhig stehen, Mistkerl!« Aber Kolossow wusste, dass alle Befehle vergebens waren. Dieses Wesen konnte sie jetzt nicht verstehen. Später vielleicht, wenn der Anfall vorüber war. . .
    Aber wann hatte er sich in dieses Ungeheuer verwandelt? Als er den Hund erblickt hatte? Als er ihm das Genick gebrochen, sein Blut geschmeckt hatte? Oder schon früher, als er unter den Sternen im Gras lag? Oder noch früher, als irgendetwas in der Nacht ihn rief und er die Datscha verließ?
    Endlich schnappten die Handschellen zu. Doch Basarow riss die gefesselten Arme los, schlug einem der Ermittler mit voller Wucht unter die Gürtellinie und machte einen Satz nach vorn.
    »Sascha, nicht schießen!«, brüllte Kolossow, der gesehen hatte, dass Sidorow schon die Hand am Abzug hatte. Er sprang auf Basarow los, schlug ihn nieder und drückte ihn zu Boden. Selbst in dieser überlegenen Position merkte er, um wie vieles stärker sein Gegner war. Dabei war er gefesselt! Der Mann – oder sollte man besser sagen, das Tier? – drehte sich zu ihm um. Die wild funkelnden Augen, die jetzt so sehr schielten, dass sie aus den Höhlen zu springen schienen, waren unmittelbar vor Kolossows Gesicht. Blutgeruch schlug ihm entgegen; Basarows Kinn und seine Lippen waren rot verschmiert.
    Ein Einsatzmann kam zu Hilfe und versetzte Basarow mit dem Gummiknüppel einen wuchtigen Schlag an den Kopf. Kolossow stieß den plötzlich erschlafften Körper beiseite, richtete sich auf und erbrach sich heftig würgend ins Gras.

25 Astrozytose
    Erst zwei Tage nach der Festnahme Basarows wurden die Verhöre aufgenommen; ein früherer Beginn war wegen seines Gesundheitszustands unmöglich. Kolossow beobachtete ihn die ganze Zeit. Der Zustand des »Werwolfs« änderte sich in rascher Folge: Die wütende Hysterie, mit der er gleich nach der Verhaftung in seiner Einzelzelle auf und ab lief, wurde von finsterer Melancholie abgelöst; dann schien er sich langsam zu normalisieren. Er antwortete zusammenhängend auf Fragen (allerdings nicht auf alle), bat darum, »meinem Bruder auszurichten, dass sich alles aufklären wird«, und machte sich Sorgen um seine Angehörigen.
    Kassjanow, der Untersuchungsführer der Staatsanwaltschaft, schlug nach Meinung Kolossows, der beim ersten Verhör dabei war, von Anfang an die falsche Taktik ein. Die Aufnahmen von der Festnahme des »Werwolfs« hatten ihn tief beeindruckt – die blutverschmierten Kiefer Basarows, die wilde Wut, mit der er Widerstand leistete, der zerfleischte Schäferhund. Offensichtlich waren für Kassjanow fast sämtliche Fragen dieses Falles geklärt, und seiner vorgefassten Meinung wegen bot er dem Festgenommenen ohne Umschweife an, er könne sich seine Lage erheblich erleichtern, indem er seine Schuld am Tod der drei Männer gestehe, im Verlauf einer Tatrekonstruktion angebe, wo er die Leiche der Bürgerin Lisa Ginerosowa vergraben habe, und überhaupt zu allen Vorkommnissen ausführliche Aussagen mache.
    Kassjanow hielt sich dabei an folgende Logik: Basarow war psychisch krank, und bei solchen Menschen waren Katz-und-Maus-Spiele eines Ermittlers sinnlos. Möglicherweise verstand Basarow aufgrund seiner Krankheit bald gar nicht mehr, was geschah, und reagierte auch nicht mehr auf die Fragen des Untersuchungsführers. Im Gespräch mit einem solchen Menschen

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