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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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weil. . . weil in unserer Familie so was einfach nicht sein kann!«
    »In jeder Familie gibt es schwarze Schafe, sogar in einer so berühmten wie der euren.« Kolossow kniff maliziös die Augen zusammen: wirklich, eine nette kleine Familie. Dabei hatte der Großvater in seinen Filmen, für die er so viele Preise eingeheimst hatte – Stalinpreise, Leninpreise, Staatspreise – , ständig sozialistische Moral gepredigt.
    »Stepan ist krank. Er muss behandelt werden.« Iwan verschränkte nervös die Finger und löste sie wieder. »Er darf nicht im Gefängnis vermodern.«
    »Iwan, antworte mir bitte ehrlich auf eine Frage: Warum bist du von zu Hause weggegangen?«, fragte Kolossow unerwartet.
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Alles, was mit deiner Familie zu tun hat, geht mich jetzt etwas an. Aber du musst mir nicht antworten, wenn du nicht willst. Vor deinem Auszug ist doch irgendwas mit einem kaputten Auto gewesen? Du schweigst? Dann müssen wir uns wohl mit deinen Freunden von der › Amnesie des Herzens ‹ unterhalten. Sie wissen sicher viel über dich. Nicht alles, aber fast alles, hm?«
    »Wollen Sie die etwa auch hierher schleppen?« Iwan wäre fast aufgesprungen. »Sind Sie völlig von Sinnen?«
    »Warum bist du von zu Hause weggegangen? Hat Stepan dich schlecht behandelt?« Kolossow ließ nicht locker.
    »Nein!«
    »Hat dein Bruder dich geschlagen?«
    Iwan schwieg – ein beredtes Schweigen.
    »Also ja. Weshalb?«
    »Ich werde Ihnen nichts mehr sagen!«
    »Er selbst hat sich beim letzten Mal sehr freimütig über dein Privatleben geäußert. Wenn ich mich recht entsinne, hat er von › unserer Linda Evangelista ‹ gesprochen . . .«
    Das war ein unfairer Trick, Kolossow wusste es. Trotzdem gelang es ihm nicht, die Brüder aufeinander zu hetzen. In Iwans Gesicht arbeitete es, doch er schwieg.
    Diese Runde hatte er verloren; das merkte Kolossow. Aber so schnell gab er sich nicht geschlagen.
    »Eine letzte Frage, Iwan. Einer der Zeugen hat gesehen, dass in der Nacht, als dein Vater starb, Stepan kurz zu ihm ins Bad gegangen ist. . .«
    Iwan hob ruckartig den Kopf und starrte Kolossow an.
    »Wer hat Ihnen das gesagt?« Seine Stimme bebte.
    »Lisa Ginerosowa.«
    »Lisa ist wieder aufgetaucht?«
    »Nein, ist sie nicht. Das hat sie gesagt, bevor sie verschwand.«
    »Zu wem hat sie es gesagt? Zu Dmitri?«
    »Du hast noch einen Bruder. Der interessiert mich jetzt mehr.«
    »Lisa hat gelogen!«
    Kolossow seufzte. Es war zwecklos, mit diesem jungen Spund zu reden, zumindest solange ihm der zwanghafte Gedanke »Wie schrecklich, vor der ganzen Welt als Bruder eines Killers dazustehen« buchstäblich den Mund verschloss.
    »Ich gebe dir Stift und Papier, und du schreibst alles auf, wenn du nicht reden willst.«
    »Ich werde Ihnen gar nichts aufschreiben. Ich hasse Sie! Gott, wie ich euch alle hasse!«
    Und so war kein vernünftiges Gespräch mit dem jüngsten Basarow zu Stande gekommen. Das Gespräch mit Dmitri begann Kolossow mit der direkten Frage: »Wieso hältst du Iwan zum Lügen an?«
    Die Unterredung mit dem Zwillingsbruder fand am Samstag statt, da Dmitri unter der Woche zu beschäftigt war. Kolossow hatte die Zeit genutzt und sich inzwischen mit einer großen Menge medizinischer Dokumente vertraut gemacht, angefangen beim Autopsie-Gutachten zur Leiche Soljonys bis hin zur Krankheitsgeschichte Stepan Basarows, die so unverständlich war wie eine chinesische Urkunde.
    Der Blick, mit dem Dmitri den Chef der Mordkommission bedachte, besagte deutlich: »Zum Teufel mit dir«, doch seine Antwort war höflich-unbestimmt: »Wenn du etwas über Stepan erfahren willst, Nikita, dann frag mich, nicht Iwan. Er ist noch ein grüner Junge und hat mit dieser Sache nichts zu tun.«
    »Dieser Tage war Stepans Anwalt bei Kassjanow in der Staatsanwaltschaft und. . .«
    »Und was?« Dmitri horchte alarmiert auf. »Ich unterstütze die von ihm gewählte Strategie der Verteidigung voll und ganz. Falls man Stepan doch nachweisen sollte, dass er diese schreckliche Tat begangen hat – du sagst ja, du hast unwiderlegbare Beweise dafür – , kann nur von medizinischen Maßnahmen die Rede sein. Du hast doch gelesen, was ich dir gebracht habe? Du kennst die Diagnose?«
    »Zuerst wird es einen Prozess geben. Und dein Bruder, Dmitri, ist des Mordes angeklagt. Die Frage seiner Zurechnungsfähigkeit wird ein gerichtsmedizinisches Gutachten klären.«
    »Das weiß ich selbst. Ich bin Jurist. Das brauchst du mir nicht zu erklären. Aber Stepan muss

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