Der kalte Kuss des Todes
kannte die Gegend ausgezeichnet – in Kolossows Augen ein gewaltiges Plus.
Der Tag neigte sich langsam dem Abend zu. Am Fluss quakten aufdringlich die Frösche – sie feierten Hochzeit, die Lümmel! Kolossow beneidete sie glühend: Die liegen faul im Schlamm und schmeißen mit ihrem Laich um sich. Und er war hier allein, hungrig, die x-te Nacht ohne ausreichenden Schlaf, stets auf dem Posten. Und er wusste selbst nicht genau, worauf er eigentlich wartete . . .
Das erste Signal des an der Datscha in Uwarowka postierten Mannes kam abends um Viertel nach sieben: Stepan Basarow war in einem alten Niwa zur Datscha gebracht worden, als wäre nichts gewesen. Er stieg aus, und der Niwa wendete und fuhr fünfzehn Minuten später auf dem Gelände des Camps in Otradnoje vor, wo vier junge Männer mit Rucksäcken ausstiegen. Auf der Datscha befanden sich außer Basarow nur die beiden alten Frauen: die Oma und die Hausangestellte. Auf der Terrasse brannte Licht. Dann wurde auch oben – in dem Zimmer, in dem das Bärenfell lag, wie Kolossow mechanisch registrierte – das Licht eingeschaltet. In Otradnoje verlief der Abend inzwischen ganz friedlich: Die Schüler kochten Gulasch und tranken Tee.
Um halb elf wurde es ruhig im Survival-Camp. Zapfenstreich wie im Pionierlager ging es Kolossow durch dem Kopf. Um elf erlosch auch auf der Datscha das Licht. Am längsten brannte es noch in der Küche. Dort hielt sich, wie man Kolossow meldete, die Hausangestellte auf und schien zu beten.
Kolossow selbst befand sich auf dem Hof des Rasdolsker Reviers in einem vom Präsidium geschickten Bus der technischen Abteilung, in dem sich ein starker Sender befand, der die Meldungen über die ausgewählten Kanäle störungsfrei empfangen konnte. Die gewöhnlichen Funkgeräte der Miliz eigneten sich für diese Operation nicht: Der Teufel mochte wissen, was diese Survival-Schüler alles an Ausrüstung bei sich hatten. Womöglich auch tragbare Funkgeräte.
Die Uhr zeigte Mitternacht, halb eins, eins, zwei. Grabesstille.
»Nikita Michailowitsch! Er hat das Haus verlassen.« Im Funkgerät erklang die Stimme des Posten an der Datscha. »Er geht die Treppe hinunter. . . bleibt stehen. Jetzt setzt er sich wieder in Bewegung. Er geht langsam.«
Kolossow schaute auf die Uhr: siebzehn Minuten vor drei. Bald würde die Morgendämmerung einsetzen.
»Ist die Kamera in Betrieb?«, fragte er.
»Jawohl. Aber in einer Minute werde ich den Burschen verloren haben. Er geht in Richtung Fluss.«
Das passte ja großartig. Am Fluss war alles offen und überschaubar. Und dort standen drei Beobachtungsposten . . .
»Ich sehe ihn«, meldete fünf Minuten später einer der Männer am Fluss. »Er bewegt sich ohne Eile. Sehr sicher, aber ohne erkennbares Ziel. Jetzt bleibt er stehen. Schaut zum Fluss. Jetzt. . . jetzt setzt er sich ins Gras. Legt sich hin.«
Kolossow nickte dem neben ihm sitzenden Sidorow zu, der die Meldungen angespannt verfolgte: Komm, wir setzen uns ebenfalls in Bewegung.
»Behaltet ihn weiterhin im Auge«, ordnete er an. »Lasst die Kamera eingeschaltet. Wenn er sich an einen anderen Ort begibt, benachrichtigt uns. Wir machen uns jetzt auf den Weg zu euch.«
Sie hielten an einem Feldweg einen halben Kilometer von dem Posten entfernt, der den Verdächtigen lokalisiert hatte, und stiegen aus. Sidorow führte Kolossow durch das Weiden – und Hagedorngestrüpp am Flussufer entlang. Bis zum Posten waren es noch ungefähr hundertfünfzig Meter.
»Er rührt sich nicht von der Stelle«, meldete die Stimme in Kolossows Kopfhörern leise. › Jetzt sehe ich auch Sie, Genosse Major. Er ist links von Ihnen, drüben hinter dem Gebüsch. Gehen Sie ganz leise. Oder besser noch, kriechen Sie.«
Auf dem Bauch durchs nasse Gras zu robben war gar nicht nach Kolossows Geschmack. Am Riedgras schnitt Kolossow sich die Hände auf, stieß um ein Haar an einen verfaulten Ast und hatte die ganze Zeit den Eindruck, dass Sidorow und er so viel Lärm machten, dass es einen Toten aufwecken konnte.
Übrigens hatte auch Kolossow ein ziemlich nützliches technisches Gerät dabei, das die Kriminalmiliz respektlos »Glubschauge« getauft hatte, das es aber in sich hatte: eine elektronische Infrarotkamera. Ein teures Stück; er musste aufpassen, dass er die Linsen nicht beschädigte.
»Links von Ihnen!« Kolossow drückte das rechte Auge ans Okular der Zeiss’schen Erfindung. Sofort schien die Nacht gleichsam auszubleichen. Das Licht wurde kränklichgrün, die Landschaft
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