Der kalte Kuss des Todes
Rasierapparat?, fragte sich Katja.) und gepflegt. Er trug einen frischen Anzug von Reebok.
Wie schon damals in der Zigeunersiedlung schien er sich über Katjas Anwesenheit nicht zu wundern. Überhaupt wirkte er so souverän, als könne ihn nichts mehr überraschen. Er bedachte Kolossow mit einem flüchtigen, abschätzenden Blick und lächelte spöttisch.
»Hallo.«
Katja schluckte. Ihre Angst war mit einem Mal verschwunden. Doch nun kam sie sich wie eine Närrin vor. Weshalb war sie eigentlich hergekommen? Wie sollte sie das Gespräch mit ihm anfangen? Wenigstens das hätte sie sich vorher überlegen müssen . . .
Stepan ging auf den fest am Boden verschraubten Stuhl zu.
»Darf ich mich setzen?«
Kolossow nickte. Die Wachsoldaten standen noch in der Tür. Ihre Mienen waren aufmerksam und angespannt. Kolossow warf Katja einen raschen Seitenblick zu: Und was jetzt, Fräulein?
Sie nahm am Tisch gegenüber Basarow Platz.
»Guten Tag.« Ihre Stimme schwankte ein wenig.
»Guten Tag.«
Sie schaute Kolossow an. Basarow bemerkte ihren flehenden Blick.
»Außenstehende haben hier nichts zu suchen«, sagte er laut.
Kolossow brummte indigniert. So eine Dreistigkeit! Basarows Blick traf ihn wie ein spitzer Nagel.
»Sie ist zu mir gekommen«, sagte er und streckte die Arme aus. »Hier, du kannst mich ja an die Heizung fesseln. Und beruhige dich. Wir reden nur ein bisschen. Allein.«
Nikita wollte der Wache schon ein Zeichen geben: Führt diesen unverschämten Fatzke wieder ab. Dieses verdammte Rendezvous ging ihm jetzt schon auf die Nerven. Doch Katja fasste ihn am Arm.
»Nikita, bitte. Geht doch hinaus. Wenigstens für eine Minute!«
Kolossow sah die Milizionäre an. Sie blickten undurchdringlich und gleichmütig. Nach Dienstvorschrift war es zwar nicht erlaubt, doch sie schienen sich zu sagen: »Du bist der Chef aus dem Präsidium, du kannst entscheiden.«
Kolossow fesselte Basarow nicht an die Heizung, sondern an das Eisenbein des Stuhls. Er legte die Kette um das Stuhlbein und ließ die Handschellen zuschnappen, sodass Basarow sich unwillkürlich nach vorn beugen musste, näher zu Katja.
Nachdem die »Außenstehenden« hinausgegangen waren, zog Stepan leicht an der Kette und grinste wieder spöttisch.
»Der gefesselte Prometheus . . . ein ungewöhnliches Schauspiel, nicht wahr, Katja? Wozu hast du dich herbemüht? Mit der gleichen Absicht wie vorgestern Dmitri? Um mich weich zu klopfen?«
Katja erwiderte nichts. Die Stille wurde drückend. Dann, unerwartet sogar für sich selbst, sagte sie: »Ich würde gern wissen . . . wie es ist, ein Bär zu sein.«
Stepans Gesicht verdüsterte sich. Die aufgesetzte Ruhe verschwand. Er schloss die Augen.
»Man behauptet, ich sei verrückt«, sagte Basarow leise.
»Und wie denkst du selbst darüber?«
»Ich bin normaler als ihr alle zusammen!«
Die Empfindungen, von denen Katja sich eigentlich befreien wollte, drückten ihr wie mit Schraubstöcken die Kehle zusammen.
»Sie wissen, woran du leidest, Stepan. Denn du bist ernsthaft krank.«
»Überhaupt nichts wissen sie von mir! Sie können gar nichts wissen! Auch du nicht!« Er zerrte an der Fessel, dass der Tisch bebte. »Niemand kann etwas wissen, weil. . . Ich weiß ja selber nicht, was mit mir ist, ich . . .«
»Erinnerst du dich nicht mehr, was mit dir war?«
»Ich erinnere mich an alles. An alles! Was soll denn mit mir gewesen sein? Wieso raunst du mir das in so einem dämlichen melodramatischen Tonfall zu? Was war mit mir?«
»Ich habe das Video von deiner Festnahme gesehen. Ein schauriges Schauspiel.«
»Ich hab einen Köter erledigt, na und? Du lieber Himmel!« Stepan zerrte erneut an seiner Fessel. »Das Biest hat sich auf mich gestürzt. Sollte ich vielleicht warten, bis es mir die Eingeweide rausreißt?«
»Aber so etwas hast du auch früher schon getan. Das stimmt doch, nicht wahr? Und nicht nur mit Hunden. Und es hat dir Spaß gemacht.«
»Bist du jetzt eine von diesen Tierschutz-Fanatikern?«
»Wozu hast du die Tiere getötet?«
»Die Menschen sind durch die Zivilisation verdorben, versteh doch! Degeneriert sind wir. . . schwache, kränkliche, feige Missgeburten! Aber war der Mensch ursprünglich so geschaffen? War er nicht stets ein Räuber? Er liebte frisches Fleisch, Blut, dürstete nach Freiheit und nach der Jagd. Wälder und Berge waren seine Welt, sein angestammtes Element. Der Mensch lebte wie ein Gott, frei und ungebunden. Er kämpfte, um zu überleben. Er suchte Tierfährten und ging
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