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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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auf die Jagd, um sich Fleisch zu beschaffen. Und das wollte ich an mir selbst erproben. Bevor ich anderen etwas darüber beibringen konnte, wollte ich selbst alles verstehen. Eine Welt erfahren, die keiner von euch anderen mehr erfahren kann! Könntest du es doch erleben, wie es sich nachts im Freien atmet, welche Gerüche man wahrnimmt, welche Geräusche man hört, was für einen Himmel man sieht, wie schön es dort ist. . .«
    »Was ist dort? Im Wald? In der Höhle des Bären?« Katja schaute ihm ins Gesicht: Seine Mundwinkel begannen zu zucken wie bei einem nervösen Tick. Es waren nicht die Worte, es war der Tonfall, die Art zu sprechen – das hatte sich tatsächlich verändert, seit Katja ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sie wandte den Blick ab. Ein Erlebnis aus ihrer Studienzeit fiel ihr ein. Man hatte die Studenten ins Serbski-Institut zu einer Vorlesung über Gerichtspsychiatrie geführt. Dort schilderte ein psychisch Kranker – ebenfalls ein junger, kräftiger Kerl – mit dem gleichen Feuer, der gleichen Begeisterung wie Stepan seinen Zustand: In seiner Brust befände sich, sagte er, eine Bombe mit einem Zeitzünder. Wenn er nur wollte, würde ganz Moskau in die Luft fliegen. Nicht berühren – Explosionsgefahr! Katja erinnerte sich, dass er ausführlich erklärt hatte, warum er so sicher war, eine Bombe in sich zu tragen. Solche Menschen können einfach alles erklären; sie sind beredt und überzeugend . . .
    »Lisa hat mir von deinem Traum erzählt«, sagte sie leise, da Stepan verstummt war. »Ein Bär, der eine Frau in den Wald schleppt. Sehe ich dieser Frau ähnlich?«
    »Nein.« Er blickte zu Boden. »Überhaupt nicht.«
    »Aber der Bär in deinem Traum warst du?«
    »Nein, niemals.«
    »Es war ein alter Braunbär, nicht wahr? Er lebte in einem alten Haus . . . auf einer Datscha. Und manchmal bekam er Lust, von dort wegzugehen. Er fühlte sich wie im Käfig, und er ging in den Wald, ja?«
    Stepan schwieg. Rote, hektische Flecken erschienen auf seinem Gesicht. Katja wartete vergeblich auf Antwort. Dann stellte sie eine neue Frage: »Wieso hast du Menschen getötet?«
    Stille. Sie konnte sein Atmen hören.
    »Oder hat der Bär diese Menschen getötet? Der auf der Datscha lebte und dessen Fell du . . .«
    Er warf jäh den Kopf zurück und verzog die Lippen. Doch seine Stimme klang ruhig, sogar spöttisch: »Katja, es reicht. Hör auf damit. Ich sitze hier in einer Zelle zusammen mit zwei Typen. Der eine nervt mich von morgens bis abends mit Geschichten darüber, wie oft er’s mit den Weibern treiben kann und was für eine tolle Frau seine Untersuchungsführerin ist, mit einem Dekollete bis zum Bauchna-bei. Der andere behauptet, er müsse wie ich mit dem Schlimmsten rechnen – Tod durch Erschießen. Er versucht, den Bekloppten zu markieren. Mich beneidet er. › Du brauchst nicht zu simulieren ‹ sagt er, › dir bestätigen die Ärzte auch so, dass du sie nicht alle beisammen hast. ‹ Dauernd will er mir weismachen: › Je mehr du dich belastest, je ausgefallener deine Erklärungen für deine Taten sind, desto weniger wird man dir später vor Gericht glauben. ‹ Von einem Verrückten erwartet man nichts anderes. Von morgens bis abends quatschen diese beiden Typen mir die Ohren voll. So sieht es aus, Katja. Einen dritten Quälgeist kann ich nicht brauchen, auch dich nicht, also lass es bleiben. Das kannst du auch deinen Kollegen ausrichten. Sag ihnen, sie sollen ihre beiden Schnüffler wieder aus der Zelle holen. Und möglichst weit fortschaffen. Sonst. . . sonst werden sie am Ende noch die Ersten sein, die ich wirklich um die Ecke bringe.«
    Katja erstarrte.
    »Was willst du damit sagen?«
    Basarow lehnte sich zurück.
    »Ich habe niemanden umgebracht. Niemanden, hast du kapiert? Verprügelt, ja. Ich hab den Idioten eine Lehre erteilt, das geb ich zu. Aber töten? Nein. Nicht weil ich ein Schwächling wäre, sondern weil. . . ich habe es Dmitri bei unserer Mutter geschworen, aber er glaubt mir nicht. Na, egal, ich werd’s verkraften. Er will mich vor der Todesstrafe retten und hört auf alles, was ihm dieser vertrottelte Anwalt sagt. Sie wollen einen Irren aus mir machen, aber ich bin gesund, versteht ihr? Der Arzt hat schon damals im Krankenhaus gesagt: › Der Bursche ist vollkommen gesund. ‹ Und ich fühle mich auch gesund. Ich werde euch degenerierte Schlaffis noch allesamt überleben!« Er knirschte mit den Zähnen. »Und alles andere . . . was ich fühle, was in meinem Innern ist. . .

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