Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
Vom Netzwerk:
Straße gerannt, aber ich habe ihn nicht mal berührt!«
    Sergej riss die Autotür auf und eilte über den Asphalt. Katja verfing sich mit den Absätzen in der Gummimatte, sprang aber schließlich auch aus dem Auto. Auf der Straße, nur einen Meter vor den Scheinwerfern des Shiguli, saß ein Kind. Ein kleiner Junge von ungefähr acht Jahren in einem schmierigen Adidas-Anzug und verdreckten Turnschuhen. Braun gebrannt, schwarzhaarig und schwarzäugig, ähnelte er einer jungen Dohle.
    Sergej hockte sich auf den Asphalt und begann den Kleinen gründlich zu untersuchen und abzutasten. Katja war ganz aufgeregt.
    »Bist du verletzt? Wo tut es weh? Am Bein? Am Bauch? Weiter oben?«
    »Ich habe ihn nicht angefahren, Katja«, brummte Sergej. »Ich bin sehr reaktionsschnell, ich. . . Da ist ein Schlagloch im Asphalt. Wahrscheinlich ist er gestolpert und umgeknickt. Warum sagst du nichts, Junge? Bist du so erschrocken?«
    Der Kleine konnte nicht antworten, weil er krampfhaft nach Luft rang – seine magere Brust blähte sich wie ein Blasebalg. Er war nass vor Schweiß und krallte sich angstvoll an Katjas Arm fest. Seine entsetzten Blicke waren auf den Wald gerichtet. Und da hörte Katja erneut das wütende Gebell, diesmal ganz nah. Augenblicke später flog ein gestreifter Pitbull aus dem Gebüsch auf die Straße. Ihm folgte ein zweiter, weißer; dann ein stämmiger Boxer mit stumpfer Schnauze.
    Die Hunde erstarrten für einen Moment. Katja spürte, wie ihre Knie vor Angst zitterten. Die gefletschten Zähne, das heisere Knurren, der kleine Junge auf der Straße . . . Was ging hier vor?
    »Haut ab!«, kreischte sie. Irgendwer hatte ihr mal gesagt, man dürfe einem bösartigen Hund nicht zeigen, dass man Angst vor ihm habe. »Haut ab, ihr Biester!«
    Sergej half dem Kleinen auf die Beine.
    »Geh zum Auto«, flüsterte er. »Langsam, ganz langsam. Um Gottes willen nicht rennen.«
    Wer weiß, wie die Ereignisse sich weiter entwickelt hätten. Vielleicht hätten die Hunde doch noch zugebissen, wären nicht plötzlich zwei Männer in Tamanzügen aus dem Gebüsch gesprungen. Einer brüllte die Hunde an, die sich gehorsam zu ihren Herrchen trollten. Einen Moment lang holten beide Seiten tief Luft – die einen vor Schreck, die anderen, weil sie nach dem raschen Spurt außer Atem waren. Dann rief Katja wutentbrannt: »Sind das Ihre Hunde? Wie können Sie die von der Leine lassen? Sie hätten uns fast in Stücke gerissen!«
    Die beiden Hundehalter, noch ganz junge Burschen, flachsblond und stämmig, bückten sich wie auf Kommando und packten die Hunde an den Halsbändern. Karabinerschlösser klickten.
    »Ihre Bestien haben ein Kind verfolgt.« Sergej setzte den Jungen auf den Vordersitz. »Wie können Sie so etwas zulassen? Der Kleine ist voller Panik auf die Straße gerannt. Wir hätten ihn um ein Haar überfahren.«
    »Halt dich geschlossen, Alter, und fahr weiter«, sagte der eine Mann drohend. »Schnapp dir deine Zicke, und verkrümel dich.«
    Sergej wurde rot vor Zorn. Katja spürte, es roch nach einer Schlägerei. Mein Gott, der schmächtige kleine Sergej würde sich doch wohl nicht mit diesen Kleiderschränken prügeln! Diese Burschen würden ihn zum Krüppel schlagen! Doch Furcht hatte Katja jetzt keine mehr; die Wut nahm ihr den Atem. »Zicke« hatten diese Typen sie genannt. Na, sie sollten die »Zicke« kennen lernen!
    »Ihr Mistkerle!«, rief sie. »Ich rufe über Funk die Miliz. Dann wird man euch festnehmen, und mit diesen Spielchen hier ist Schluss!« Sie zog ihren Ausweis aus der Handtasche und hielt ihn hoch. Auf der Brust des einen Mannes, der näher kam, um Katjas Ausweis in Augenschein zu nehmen, erblickte sie ein rundes Abzeichen mit einem gezackten weißen Blitz auf schwarzem Untergrund.
    Das Ende ihrer Drohrede kam für Sergej vollkommen überraschend: »Wenn ihr in eurem verdammten Überlebenscamp nichts weiter lernt, als andere Leute zu beschimpfen und einzuschüchtern, werden wir eurem Basarow höchstpersönlich die Meinung sagen!«
    Weder Katjas Milizausweis noch ihr forsches Auftreten hatten die jungen Männer sonderlich beeindruckt – doch der Name Basarow wirkte augenblicklich.
    »Schon gut, entschuldigen Sie.« Der Kerl mit dem Abzeichen zog den zähnefletschenden Pitbull mit einem Ruck zurück. »Das wollten wir nicht, ehrlich. Das ist doch auch bloß ’ne Zigeunerrotznase. Fahrt weiter.«
    Damit verließen sie die Chaussee und verschwanden im Wald, als hätte es sie nie gegeben.
    »Ein Irrenhaus.«

Weitere Kostenlose Bücher