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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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Straße und Hausnummer.
    »Aber rasen Sie um Himmels willen nicht, Dmitri. Fahren Sie vorsichtig.«
    Sie legte auf, sprang aus dem Bett, stürzte in die Küche und schüttete fast ein halbes Paket Kaffee in die Maschine. In seinem Zustand war starker Kaffee für Dmitri genau das Richtige. Dann zog sie sich das Erstbeste über, das ihr in die Hände fiel: Jeans, T-Shirt, Pullover.
    Aus Sorge, ob Dmitri in seinem deprimierten Zustand heil ankommen würde, fuhr sie mit dem Lift nach unten, überquerte den dunklen Hof und trat hinaus auf die Uferstraße. Gerade erst setzte die Morgendämmerung ein, und eine nach der anderen erloschen die Straßenlaternen. Auf der anderen Seite der Moskwa tauchten aus dem Dunkel der Nacht die schwarzen Silhouetten der Linden in den Alleen des Gorki-Parks auf. Katja sah Dmitris Auto sofort – er fuhr mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Zum Glück war die Straße völlig leer.
    Dann bremste er auch schon mit kreischenden Reifen. Katja lief zu ihm und beugte sich zum Fenster hinunter. Dmitris Gesicht war weiß wie eine Gipsmaske. Gebeugt, die Ellbogen auf das Lenkrad gestützt, saß er am Steuer.
    »Kommen Sie, Dmitri, geben Sie mir Ihren Arm. Der arme Wladimir Kirillowitsch . . . Erst der Großvater, jetzt der Vater. Sicher war er so erschüttert, dass sein Herz versagt hat, nicht wahr? Achten Sie gar nicht auf mich, Dmitri. Wenn Sie das Bedürfnis haben, zu weinen, dann tun Sie’s, dann wird Ihnen leichter. Es ist dummes Zeug, dass Männer nicht weinen dürfen, wenn Kummer und Schmerz sie bedrückt . . . dann dürfen sie, sollen sie weinen. Sagen Sie nichts, kommen Sie . . .ja, so ist es recht. Geben Sie mir die Autoschlüssel. Wie riegelt man den Wagen ab? Dieser Knopf hier? Und die Alarmanlage? Ich mach das schon, ich weiß, wie das geht. Trinken Sie erst einmal eine Tasse heißen Kaffee, dann kommen Sie schon wieder zu sich.« Katja sah, dass er unter Schock stand, und redete drauflos, um ihn zu beruhigen. Nicht die Worte waren wichtig, sondern die Stimme, die Intonation, das Timbre.
    Dmitri legte ihr den Arm um die Schultern und lehnte sich so schwer auf sie, dass es wehtat. Ihr war die Berührung unangenehm, doch sie machte keine Anstalten, sich zu befreien oder Dmitri wegzustoßen. Sie konnte seinen heftigen Herzschlag hören. Erst in der Küche, nach der zweiten Tasse starken Kaffees, kam er ein wenig zur Besinnung.
    »Verzeihen Sie, dass ich Sie geweckt habe, Katja.« Er blickte sie an, schien sie aber gar nicht richtig wahrzunehmen.
    »Das macht nichts, Dmitri. Bei einem solchen Schicksalsschlag, mein Gott. . . der arme Wladimir Kirillowitsch. Soll ich vielleicht Andrej Krawtschenko anrufen?«
    »So habe ich mir die nächste Begegnung mit Ihnen wirk lich nicht vorgestellt.« Selbst in dieser Situation siezte er sie beharrlich weiter. »Wer hätte das gedacht. . .«
    »War es ein Herzanfall? Er fühlte sich ja schon bei der To-tenfeier nicht gut«, sagte Katja. »Haben die Ärzte denn nichts gemerkt?«
    Dmitri brach in Tränen aus, und tiefes Mitleid stieg in Katja auf. Männertränen waren schrecklich, weil Männer sich ihrer schämten und stets versuchten, sie zu unterdrü¬cken oder zu verbergen. Und wenn es ihnen nicht gelang, verwandelten die Tränen sich oft in hysterisches Schluch¬zen, in einen regelrechten Zusammenbruch.
    Katja brach beim Anblick des erschütterten Dmitri selbst in Tränen aus; sie hatte ohnehin nah am Wasser gebaut und hatte gleich Mitleid mit allem und jedem.
    Als Dmitri sich ein wenig beruhigt hatte, gab sie ihm ei¬nen Schuss Kognak in den Kaffee.
    »Wo ist es denn passiert?«, fragte sie. »Bei der Arbeit oder zu Hause?«
    »Im Bad. Wir konnten nichts tun. Er hat seinen Elektrora¬sierer ins Wasser fallen lassen, verstehen Sie? Er konnte nicht einmal mehr um Hilfe rufen - ein Schlag und . . .«
    »Seinen Elektrorasierer?«
    »Ja, ein Stromschlag hat ihn umgebracht. Als ich das Ba-dezimmer betrat, lag mein Vater dort. Es war entsetzlich. Er hat in letzter Zeit nicht gearbeitet, hat sich mies gefühlt. Nach der Totenfeier ist er auf der Datscha geblieben, der gu¬ten Luft wegen. Marussja hat sich um ihn gekümmert. Eine Pflegerin wollten wir vorläufig noch nicht einstellen, er hat¬te ja noch keine Schmerzen . . . Die Medikamente haben ihm geholfen. Warum musste er so sterben, mein Gott. . .« Katja konnte Dmitri nur schlecht verstehen; er redete wie ein Wasserfall. »Er hat mich angerufen, hat mich gebeten zu kommen . . . Iwan hat er auch angerufen.

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