Der kalte Kuss des Todes
Wald ringsum. Haben Sie keine Angst hier, so allein?« Er lächelte die Blondine an.
»Ich kann mich vor Beschützern kaum retten«, erwiderte sie lachend.
»Als ich das letzte Mal hier vorbeikam, hatten Sie hier so einen aggressiven Hund.« Kolossow zeigte auf den leeren Zwinger neben der Einfahrt. »Wo steckt er?«
»Unser Kasbek? Der ist tot.«
»Vergiftet? Oder von einem Auto überfahren?«, erkundigte Kolossow sich gleichmütig.
»Von wegen Auto! Ich selber habe es nicht gesehen, aber mein Kollege war dabei. Es war schon spät am Abend. Plötzlich wurde Kasbek ganz wild, hat gebellt und geknurrt. Mein Kollege guckt zum Fenster raus – keiner zu sehen. Kasbek kläfft und kläfft und wird dann wieder ruhig. Tja, dann wurde es Zeit, ihn zu füttern. Mein Kollege, eine ziemliche Schlafmütze, macht die Zwingertür auf. Er hat beide Hände voll – er brachte Kasbek ja seine Schüssel. Kasbek, nicht faul, ist sofort draußen, schmeißt den Burschen fast noch um, rennt über die Straße und in den Wald. Und weg war er.«
»Vielleicht hat er irgendwas gewittert? Oder wollte Hundehochzeit feiern?«
»Das muss dann aber eine Teufelshochzeit gewesen sein«, sagte die Frau. »Zwei Tage später kamen zwei Jungs aus Mebelny. Euer Kasbek, sagten sie, liegt mit gebrochenem Genick in der Schlucht hinter der Brücke.« Die Frau seufzte. »Wie viel Liter wollen Sie?«
Kolossow bat sie, den Wagen voll zu tanken, zahlte und fuhr weiter. Ungefähr anderthalb Kilometer hinter der Abzweigung nach Mebelny führte ihn eine vom Regen aufgeweichte Straße zur Brücke über die Schlucht. Kolossow hielt und stieg aus. Ein dunkler, stiller Märchenwald, wie aus dem Bilderbuch. Frisches junges Gras, Schmetterlinge, die munter um den Löwenzahn flatterten. Stille. Frieden. Unten auf dem Grund der Schlucht plätscherte ein Bach. Vorsichtig stieg Kolossow den Hang zum Grund der Schlucht hinunter, wobei er immer wieder auf dem lehmigen Boden ausglitt und sich an Baumstämmen festhalten musste.
Plötzlich stieg ihm der Übelkeit erregende Geruch nach Aas in die Nase. Der Gestank wurde immer stärker. Kurz darauf entdeckte Kolossow den Hundekadaver in einem Gestrüpp aus Brennnesseln und jungem Farn. Schwärme von grünen Fliegen umschwirrten ihn. Kolossow holte seine Gummihandschuhe aus der Hosentasche, streifte sie über und beugte sich über den Haufen faulenden Fleisches. Tatsächlich, dieser Kasbek war ein imposantes Tier gewesen – ein Moskauer Wachhund. Kolossow berührte die von der Verwesung verunstaltete Schnauze. Der Schädel war unverletzt, aber der Hals . . .
Er streifte die Handschuhe ab, warf sie ins Gebüsch und stieg den Abhang hinauf zurück zum Auto. Es kam ihm vor, als hüllte der Gestank ihn von Kopf bis Fuß ein und klebte auf der Haut.
Als er auf den Hof den Reviers fuhr, sah er dort auf Anhieb den dunkelblauen Volvo Swiridows stehen. Allzu sehr stach der große ausländische Wagen von den schäbigen Kleinbussen und altersschwachen Shigulis der Miliz ab. Herr Swiridow selbst, ein dicker, kahlköpfiger, apoplektisch aussehender Mann, saß noch im Wagen und betrachtete durch die Scheibe mit sichtlichem Widerwillen das Gebäude der Rasdolsker Miliz. Er war mit Bodyguard und Chauffeur zum Treffen erschienen. Kolossow bat die Männer zu sich ins Büro.
15 Vater und Söhne
Nachdem Katja beschlossen hatte, nach Rasdolsk zu fahren, um den Ereignissen näher zu sein, bat sie ihren Chef um eine entsprechende Dienstreiseorder, die ihr auch sofort bewilligt wurde – und sogar noch einen Kameramann dazu.
Von den Umständen des Todes Wladimir Basarows erfuhr sie beim morgendlichen Lagebericht. Aber es waren nur kurze, karge Informationen. Wenig Klarheit, viele Fragen. Nachdem sie den Dienstreiseantrag ausgefüllt hatte, ging Katja ungeduldig im Büro auf und ab und wartete auf Dmitris Anruf. Sie hatte dem gramgebeugten Zwilling ihre Hilfe nicht zufällig angeboten. Es war weniger eine edle Geste gewesen als schlichte Berechnung.
Vor ihrer Abreise musste Katja noch mehrere dringende Anrufe erledigen. Andrej Krawtschenko, Wadims Vater, wusste bereits von dem Unglück und war »erschüttert«. Erschüttert war auch Sergej – er rief Katja selbst an. Steif und förmlich teilte er ihr mit, dass er »trotz seiner Arbeitsbelastung heute ganz zu ihrer und Dmitris Verfügung stehe«. Katja war Sergejs Gesellschaft bei ihrer geplanten Reise sehr willkommen. Erstens verstand er sich gut mit Kolossow und würde von diesem vielleicht
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