Der kalte Kuss des Todes
deshalb wurde er hingerichtet.«
»Tja, Nikita, alles im Leben wiederholt sich. Vielleicht ist in Rasdolsk wieder ein solcher Sportsfreund am Werk. So, wir sind da.«
»Diesmal werden wir uns streng an die Vorschriften des Gesetzes über operative Ermittlungstätigkeit halten«, sagte Kolossow grinsend. »Ohne deine faulen Tricks.«
Das Untersuchungsgefängnis von Oktjabrsk erweckte beim Chef der Mordkommission stets beinahe poetische Gefühle: Das Gefängnis war nämlich in einem Kloster untergebracht, das während der Regierungszeitung der Zarin Elisabeth im Stil des Rokoko erbaut worden war. Die Backsteine der tief in die Erde eingesunkenen Klostermauern bröckelten stellenweise schon. Vor einigen Jahren hatte eine Gruppe besonders unternehmungslustiger Gefangener eine Bresche in die Zellenmauer geschlagen und war aus dem Untersuchungsgefängnis ausgebrochen. Kolossow erinnerte sich, dass man im gesamten Bezirk nach den Männern gesucht hatte. Seitdem wurden alle Gefängnisgebäude und die Mauern rund um den gesamten Komplex renoviert: Die Gefängnisverwaltung wollte sich vor ähnlichen Vorkommnissen schützen.
Kolossow und Chalilow wurden vom Direktor des Untersuchungsgefängnisses empfangen. Die Situation in seiner Anstalt war problematisch: Das Gefängnis war hoffnungslos überfüllt. In manchen Zellen, die für zehn bis fünfzehn Gefangene gedacht waren, saßen vierzig und mehr. Geschlafen wurde schichtweise. Erst zum Ende der Woche rechnete man mit einer gewissen Entspannung: Ein Teil der Häftlinge sollte nach erfolgtem Gerichtsurteil zu den Orten gebracht werden, an denen sie ihre Strafe verbüßen mussten. Der Gefängnisdirektor holte noch den Dienst habenden Aufseher und einen weiteren Mitarbeiter hinzu. Ein Teil der Häftlinge aus Block Drei, in dem man die besonders gefährlichen Verbrecher und die Rückfalltäter untergebracht hatte, war soeben beim Hofgang. Der Hai befand sich noch in seiner Zelle, wo er wartete, bis die Reihe an ihm war. Wie sich später herausstellte, hatte der Aufseher ihn zuletzt beim Mittagessen gesehen.
Kolossow und Chalilow wurden ins Vernehmungszimmer geführt, das sich im Erdgeschoss eines Seitengebäudes befand. Man versprach ihnen, dass der Hai in fünf Minuten gebracht würde. Sie warteten zehn Minuten, fünfzehn . . . Plötzlich ertönten im Flur aufgeregte Stimmen, jemand rannte auf dem Flur vorbei, Stiefel polterten. Draußen am Gebäude heulte eine Alarmsirene los. Kolossow und Chalilow liefen hinaus auf den Flur. Der Leiter der Wachmannschaft kam ihnen entgegen. Dem Mann war auf den ersten Blick anzusehen, dass etwas Schlimmes passiert war.
Mit einer löchrigen Gefängnisweste notdürftig bedeckt, lag die Leiche des Hais in einer Ecke auf dem eiskalten Betonfußboden von Zelle sechzehn in Block Drei. Der drogensüchtige Dieb war mit einer Metallschnur erdrosselt worden. Sie wand sich um seinen Hals und schnitt tief in das Fleisch unterm Kinn. Die Leiche war bereits kalt.
»Wie viele Häftlinge sind in dieser Zelle?«, fragte Kolossow den verstörten Aufseher.
»Insgesamt sechzig. Wir führen sie in drei Schichten zum Hofgang.«
»Gab es in letzter Zeit Verlegungen aus anderen Zellen?«
»Nein, seit einer Woche ist keiner mehr verlegt worden. Hier ist sowieso schon alles überfüllt.« Der Aufseher betrachtete den Toten erschreckt und grimmig zugleich. »Diese Bestien haben ihren eigenen Kumpel ermordet. Dabei war er hier so was wie eine Autorität. Und nicht mal die Wache wurde geholt! Wenn Sie nicht gekommen wären und sie gerufen hätten, wäre der Schlamassel erst heute Abend bei der Kontrolle entdeckt worden. Die wollten Zeit gewinnen, die Schufte! Spuren verwischen! Hier deckt einer den anderen, Genosse Major. Wie die Wölfe sind sie!«
»Das ist Michailows Handschrift«, flüsterte Chalilow, als sie zu zweit im Flur zurückgeblieben waren. »Brillanten-Goscha sitzt jetzt im Untersuchungsgefängnis in Moshaisk, seine Bande in Wolokolamsk. Man hat sie absichtlich auf verschiedene Gefängnisse verteilt, aber trotzdem . . . er hat dem Hai den Überfall im Zug nicht verziehen, darauf wette ich meinen Kopf. Meinen › Falschen Demetrius ‹ hat er ihm nicht verziehen. Er muss durch irgendwelche Kanäle erfahren haben, wo der Hai einsitzt. Verdammt! Das Gefängnis ist wie ein See, Nikita. Wirfst du einen Stein hinein, zieht er sehr weite Kreise. Unter den sechzig Leuten, die in dieser Zelle sitzen, ist einer – vielleicht auch zwei oder drei – , die aus
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