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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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gesagt! Da sind sie gekommen, um uns zu holen! Uns alle!«

20 Supermann
    Im ersten Moment begriff Katja nicht, wer die Männer in Tarnanzügen waren, die aus dem Gebüsch sprangen. Direkt vor ihren Augen schlugen zwei von ihnen Leilas Sohn zu Boden und traten ihn mit Füßen – schweigend und furchterregend, blitzschnell und effektiv.
    Einer der Angreifer rannte dem Mädchen mit der Gerte nach, holte es ein, packte es an den Haaren, schlug ihm ins Gesicht und schleuderte es wie eine zerbrochene Puppe auf die Erde. Aus der Siedlung hörte man die gellenden Schreie der Zigeunerinnen und das Weinen von Kindern. Es roch brandig. Rauchschwaden stiegen zum Himmel.
    Es dauerte eine Weile, bis Katja die Angreifer erkannte, dann aber wusste sie Bescheid. Sie brauchte sich das Logo auf den Tarnanzügen und die Bullterrier gar nicht genauer anzusehen – das waren sie, kein Zweifel. Hier tobten sich dieselben jungen Kerle aus, die Katja vor einer Woche auf dem Schulungsgelände des Survival-Camps in Otradnoje getroffen hatte. Dort hatten sie ruhig und konzentriert, unauffällig und strebsam gewirkt und wie ganz normale junge Männer – hier jedoch gebärdeten sie sich wie eine Horde von Schlägern oder ein Rudel wilder Tiere.
    »Hört auf! Schlagt ihn nicht! Das ist barbarisch! Ich rufe die Miliz!« Katja schüttelte ihre Erstarrung ab und schrie die Männer an. Doch ihr Protest bewirkte nicht viel mehr als das Sirren einer Mücke. Solche Typen ließen sich nicht von der Drohung einschüchtern, die Miliz zu rufen.
    Die Angreifer bewegten sich rasch und zielsicher, ohne überflüssige Bewegungen. Jeder von ihnen schien genau zu wissen, was er zu tun hatte. Sie ließen von Leilas Sohn ab, der mit heiserer Stimme unartikulierte Laute schrie und Blut spuckte. Einer der Getarnten bückte sich, zog ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer und schleuderte es dorthin, wo im Gras die Federbetten der Zigeuner lagen. Dann tauchten die Schläger wieder in der Dunkelheit unter und stoben auf die Siedlung zu.
    Katja stürzte zu Georgi. Der Bucklige stöhnte, wollte etwas sagen . . . Seine Brille war ins Gras gefallen, und jemand hatte sie mit dem Absatz zertreten. Er tastete mit der Hand danach. Offenbar war ihm der Kiefer gebrochen worden, vielleicht auch die Rippen. An Katja geklammert, kam er mühsam auf die Beine. Sprechen konnte er nicht; er stöhnte nur und deutete dabei auf Leilas Haus. Stolpernd zog und schleifte Katja ihn dorthin.
    In der Siedlung standen zwei Autos und eins der halb fertigen Häuser in Flammen. Laut schreiend rannten Zigeunerinnen umher und schleppten irgendwelche Bündel und Ballen auf die Straße. Die Männer in den Tarnanzügen schienen verschwunden zu sein. Dann aber, ganz plötzlich . . . erst kam einer, dann ein zweiter wie ein schwarzer Blitz aus der Dunkelheit gejagt. Sie prügelten auf einen Zigeuner ein, der wohl vorhatte, einen Wagen aus dem Bereich des brennenden Hauses zu fahren. Wieder begann eine Schlägerei – besser gesagt, ein gnadenloses Niederknüppeln. Katja ließ den Blick entsetzt über das Lager schweifen und sah Leila. Die Wahrsagerin stand mit dem Rücken an einen Flügel des weit aufgerissenen Tors gelehnt und griff sich krampfhaft ans Herz. Als sie ihren Sohn sah, der in Katjas Armen hing, wollte sie zu ihnen und wäre beinahe gestürzt. Ihr braunes Gesicht war aschgrau.
    »Er ist am Leben! Georgi ist am Leben, Leila! Aber sein Kiefer ist gebrochen!«, rief Katja.
    »Meine . . . Arznei«, ächzte die Zigeunerin. »Das Herz. . . als hätte man mir einen Pfahl durchs Herz getrieben . . . kann nicht gehen. . . die Beine gehorchen mir nicht. . . Georgi, mein Junge, wo warst du denn. . .? Wir haben dich gesucht . . . mein lieber Sohn . . .Jana hat die Kinder weggebracht . . . und ich . . . kann nicht gehen. Meine Tabletten. Einen Pfahl. . . einen Pfahl hab ich im Herzen!«
    Katja lehnte Georgi an den Zaun. Panik erfasste sie. Leila hatte einen Herzanfall, vielleicht sogar einen Infarkt. Katja kannte die Symptome.
    »Leila! Wo haben Sie im Haus die Medikamente?«
    Die Zigeunerin sagte es ihr mit leiser, gequälter Stimme.
    »Rühren Sie sich nicht von der Stelle, Leila. Ich bin gleich wieder da!« Katja rannte zum Haus.
    Und da sah sie im Hof. . . Stepan Basarow. Er stand einsam über dem umgekippten Tisch, ganz in Schwarz gekleidet. Zu seinen Füßen lagen das zerrissene Tischtuch und zerbrochenes Geschirr. Mitten in diesem Chaos und Schmutz lag zusammengekrümmt, die Arme schützend über

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