Der Kalte Kuss Des Todes
hatte sie zugemacht. Das Schlafzimmerfenster führte auf einen kleinen, gekiesten Dachgarten hinaus, der mir im Sommer als Balkon diente und der zu einer alten Feuerleiter führte, über die man in den alten Friedhof von St. Paul’s gelangte und die ich ganzjährig als alternative Fluchtroute benutzte.
»Wie rücksichtsvoll«, spottete ich.
Ein kalter Windstoß fuhr zur offenen Wohnungstür herein und brachte die gold-, silber- und kupferfarbenen Glasperlen an meinem Kronleuchter zum Klingen – die einzige Extravaganz, die ich mir bei meinem Einzug vor einem Jahr geleistet hatte. Mein Blick fiel auf den Vampir, der darunterstand. Hannah hatte als Mensch natürlich kein Problem, durchs Schlafzimmerfenster einzusteigen; es ist der einzige Teil des Gebäudes, der nicht mit einem Abwehrzauber geschützt ist – ein Versäumnis, das ich in Bälde zu korrigieren gedachte. Aber der fast eins neunzig große Vampir, der in der Mitte meines Wohnzimmers herumstand, als würde er auf den Fotografen warten, hätte nicht ohne ausdrückliche Einladung – von jemandem, den die Schwelle erkannte – die Wohnung betreten dürfen.
»Nur so aus Neugier«, sagte ich und deutete auf den Vampir. Wenn ich ihn doch nur mit einer Handbewegung hätte verschwinden lassen können. »Wie genau ist er hier reingekommen? Kann mich nicht entsinnen, ihn eingeladen zu haben.«
»Blut, natürlich. Ich hab dir meines ohne Hintergedanken angeboten, und du hast es ebenso aufrichtig angenommen.« Ihr amüsiertes Lächeln wurde breiter. »Das schafft eine Verbindung zwischen uns und erlaubt mir ein wenig Spielraum beim Auslegen der Regeln. Ich habe ihn in deinem Namen eingeladen.«
Ich verspürte trotz meines Zorns einen Anflug von Panik. Kacke! Hieß das etwa, dass die Tatsache, dass ich ihr Blut getrunken hatte (in einem verrückten, schwachen Moment, an den ich mich nur ungern erinnerte), bedeutete, dass sie nun jeden ihrer fangzähnigen Ganoven in meine Bude einladen konnte? Nun, sie war nicht der Typ, der sich mit Skrupeln aufhielt. Wenn sie ein magisches Schlupfloch entdeckt hatte, dann nutzte sie es natürlich aus.
Ich schaute sie genauer an und konnte nur mit Mühe ein erschrockenes Aufkeuchen unterdrücken. Sie sah aus wie Frodo, wenn er den Ring aufsteckte: Heiße Luft schien sie zu umwabern, an ihrer Gestalt zu zerren – und nicht nur an ihrer. Auch der Vampir wurde von diesem Energiefeld erfasst, das die beiden in Form einer Acht umzüngelte. Eine gewaltige, eine unglaubliche Macht, die die Zaubersprüche in ihren Totenkopfohrringen fast harmlos wirken ließ. Sie benutzte diese Macht, um die Anwesenheit des Vampirs in meiner Wohnung zu verbergen. Dabei erschien sie auf meinem Radar als einfacher Mensch ohne Zauberkräfte. Aber ich hatte immer vermutet, dass sie irgendwo eine geheime Kraftquelle besaß.
Und eine derart starke Macht bedeutete, dass Hannah eine Magierin war.
Sie hatte einen Handel mit einem Dämon geschlossen.
Dämonen sind noch mieser als Vampire. Immerhin haben sie ein Gutes: Sie lassen sich nur diesseits der Hölle blicken, wenn man sie heraufbeschwört. Und nicht einmal der dümmste Zauberer würde einen Dämon beschwören, ohne die nötigen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Hannah Ashby war nicht dumm, und ein Bannkreis ist schwer zu übersehen.
Natürlich sind die Dämonen der einen die Götter der anderen; das hängt von der Religion ab, aber es macht einen nicht zwangsweise zum Bösewicht. Die Macht eines Dämons ist wie jedes andere Werkzeug: Es hängt davon ab, was du damit anfängst – und wie du dafür bezahlst. Dämonen, ebenso wie Nekromanten, sind nicht billig. Und es ist die Währung, für die sich der Zauberer entscheidet, die ihn entweder grau, schwarz oder einfach abgrundtief böse macht.
Und da mir das Glück in letzter Zeit nicht gerade hold war, konnte ich wohl davon ausgehen, dass Hannah zur abgrundtief bösen Sorte gehörte.
Ein wenig zittrig trat ich an meinen Kühlschrank und holte eine Flasche Wodka aus dem Eisfach. Ich nahm ein Glas aus dem Oberschrank, stellte es auf die Anrichte und drehte mich zu meinen unwillkommenen Besuchern um.
»Wenn wir Freunde wären« – ich schraubte die Flasche auf -, »würde ich euch jetzt einen Drink anbieten. Aber wir sind keine Freunde, also spuckt jetzt bitte aus, warum ihr hier seid, und dann verpisst euch wieder. Man dankt.«
»Oh, ich glaube, wir können dir etwas viel Besseres anbieten, Genevieve.« Hannah wies mit einer ausholenden Geste auf
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