Der Kalte Kuss Des Todes
helfen?«
»Weil wir Freunde sind! Und Freunde helfen sich gegenseitig!«
Ich ließ meinen Stift fallen und packte seine Hände. Sofort begann es wieder Funken zu sprühen. »Wenn wir Freunde sind, warum gehst du mir dann aus dem Weg? Warum tust du so, als ob nichts zwischen uns gewesen wäre? Bis vor kurzem warst du noch ganz wild darauf, mit mir -!«
»Darum geht’s nicht, Gen.«
Er entzog mir seine Hände. Auf seinem Gesicht zeichnete sich tiefe Frustration und noch ein anderes Gefühl ab, das ich nicht zu deuten wusste.
»Du musst dich von den Blutsaugern fernhalten, und das mit den Einladungen muss aufhören. Dann können sich die Hexen wenigstens nicht mehr über dich beschweren, und der Rat kann dich nicht aus deiner Wohnung rauswerfen oder -«
Er hielt inne, sein Wangenmuskel zuckte. »Oder was auch immer.«
Es verletzte mich zutiefst, dass er nicht auf meinen Vorwurf eingegangen war, doch wischte ich das für den Moment beiseite. Langsam sagte ich: » Was auch immer , heißt, mein Job, nicht?«
»Ich musste mich ganz schön anstrengen, damit der Hexenrat deine Kündigung widerrief, Gen. Aber du bist noch nicht aus dem Schneider. Die können ihre Entscheidung jederzeit rückgängig machen, wenn sie glauben, dass die Sache mit den Vamps überhandnimmt.« Er massierte sich müde das Gesicht. »Bei den Göttern, Gen, wenn’s nur um mich ginge, wär’s mir egal. Aber ich kann mich nicht gegen den Hexenrat stellen, sonst entziehen sie mir die Franchiselizenz für Spellcrackers. Und die ganze Herde hat in die Firma investiert.«
Mir wurde ganz flau im Magen. Kacke. Das waren keine guten Neuigkeiten. »Das hättest du mir sagen sollen«, sagte ich leise.
»Mag sein«, antwortete er müde, »aber es war in letzter Zeit nicht leicht. Und irgendwie schien nie die rechte Zeit dafür zu sein.«
Ich blickte zu Boden, wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber konnte es überhaupt noch schlimmer werden? Ich machte den Mund auf, um, ja, was zu sagen? Dass ich ihm helfen wollte? Aber das war Unsinn. Ich war sein Problem, nicht umgekehrt. Wenn ich meine Probleme beseitigen könnte, dann wären auch die seinen gelöst. Vielleicht sollte ich ja ihn fragen, ob er mir helfen konnte?
Meine Nackenhaare sträubten sich, und mein Kopf zuckte hoch.
Scarface klebte schon wieder mit ausgebreiteten Armen und weit aufgerissenem Mund am magischen Bannkreis. Aber diesmal hatte ich eine Sekunde lang den Eindruck, dass
der Ausdruck in seinen tiefliegenden Augen ein anderer war, doch schon schlurfte er weiter, um den Kreis herum. Ein Wispern lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Knochenhaufen. Nichts. Da war niemand. Als ich wieder zurückschaute, war Scarface verschwunden.
»Hast du das gesehen?«, fragte ich und deutete verblüfft auf die Stelle, an der ich Scarface soeben noch gesehen hatte.
Finn warf mir einen verständnislosen Blick zu. »Was?«
»Scarface, er ist wieder mit dem Kreis zusammengestoßen. Und dann ist er einfach verschwunden.«
»Gen, er ist nicht verschwunden, schau« – er deutete nach hinten -, »da schlurft er davon, so wie immer.«
Ich wandte mich um. Tatsächlich, da war er und verschwand in seinem üblichen Tunnel.
»Du hast wer weiß wie lange in diese Ecke da gestarrt«, fügte Finn hinzu. Auf seinem Gesicht lag erneut dieser distanzierte Boss-Ausdruck. Er stand auf und streckte sich. »Ist sowieso Zeit, dass wir hier Schluss machen; wir haben mehr als genug Material über die Geister. Außerdem traue ich diesem Bauherrn zu, doch noch persönlich hier aufzutauchen. Und du hast schon genug Probleme.«
Stirnrunzelnd gab ich Scarfaces Daten in den Laptop ein und fuhr ihn dann herunter. Ich schaute zu Finn auf. Ob ich versuchen sollte, noch mal auf unser vorheriges Gespräch zurückzukommen, oder lieber warten, bis ich mir alles gut überlegt hatte? Ich beschloss, es zu lassen; es war schon spät – oder früh, je nachdem, wie man es nahm.
Ich klappte meinen Stuhl zusammen und klemmte mir dabei versehentlich den Finger ein. Mir war nämlich eingefallen, was anders an Scarface gewesen war: Wut. Seine Augen hatten mich zornig angeblickt. Aber wie war das möglich? Er war ein Geist; Geister haben keine Gefühle.
Aber, wie Finn so richtig gesagt hatte, ich hatte im Moment
genug Probleme, ich musste mir das alte Narbengesicht nicht auch noch auf meine Liste setzen. Dann fiel mir ein, dass Graces Schicht mittlerweile zu Ende sein musste und sie vielleicht schon zu Hause auf mich wartete.
Ihr konnte ich
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