Der Kalte Kuss Des Todes
Menschen, um sich darin zu verstecken. Aber mein Gefühl sowie die Abwehrzauber, die ich nun auch an der Hintertür und am hohen Fenster erkennen konnte, sagten mir, dass die Frau längst verschwunden war.
Ich saß wie die sprichwörtliche Ratte in der Falle.
Mich aus diesem Schlamassel zu befreien, das würde nicht leicht werden.
»Genevieve.«
Mein Name strich wie dunkler Samt über meine Haut, und ich erschauderte. Mesmer . Ich kannte die Stimme mit dem leicht fremdländischen Akzent. Mein Herz begann zu klopfen wie das einer in die Enge getriebenen Katze.
Ich drehte mich zu ihm um.
Malik stand im Eingang zur Backstube. Schwarze Schatten umwehten seine Gestalt und verdunkelten den Mehlsturm hinter ihm. Sein dichtes schwarzes Haar ringelte sich über den Kragen seines langen schwarzen Ledermantels. Darunter trug er ein ebenfalls schwarzes Hemd und eine elegante schwarze Hose. Ich sah nicht zum ersten Mal, wie er sich in Schatten hüllte, er konnte dies so gut, dass er unsichtbar wurde, wenn er wollte.
Er musterte mich. Die Schatten hoben sich, und ich konnte seine weiße, bleiche Haut erkennen. Seine rabenschwarzen Augen musterten mich durchdringend. Ihre Mandelform ließ auf eine teilweise asiatische Herkunft schließen. Als ich ihn zum ersten Mal sah, hatte ich dieses Gesicht für perfekt, ja, fast für zu hübsch gehalten, aber damals hatte er meine Wahrnehmung manipuliert. Jetzt war nur noch ein winziger Rest davon geblieben, und er wirkte noch schöner, noch männlicher und noch beängstigender, als ich es mir in meinen wildesten Träumen hätte ausmalen können.
Ich runzelte die Stirn. Etwas stimmte nicht. Nicht die Tatsache, dass ich Angst vor ihm hatte – Vampire sind gefährliche Raubtiere, und es ist ratsam, sie mit Vorsicht zu genießen. Nein, dieses Gefühl war irgendwie … anders. Dann kam ich darauf: Es ist etwas ganz anderes, sich vorzustellen , eine Vereinbarung mit ihm zu treffen, als ihn tatsächlich vor sich
stehen zu sehen wie eine Art schwarzer Racheengel. Kacke. Vielleicht hatte Grace ja wieder mal recht, und ich machte mir was vor, wenn ich glaubte, ihn nach meiner Pfeife tanzen lassen und ihm Bedingungen stellen zu können. Mein 3V-Problem und die Tatsache, dass ich mich stark zu ihm hingezogen fühlte, würden es mir nicht gerade leichtmachen, meine besten Interessen im Auge zu behalten.
Ich gab mir einen mentalen Ruck und sagte, so ruhig ich konnte: »Malik al Khan.«
Bloß gut, dass meine Stimme so staubtrocken war.
Er verneigte sich, eine anmutige, altmodische Geste, die an frühere Zeiten erinnerte. Und in Anbetracht der Macht, die er zu besitzen schien und deren Zeuge ich mehr als ein Mal geworden war, lagen diese Zeiten sehr lange zurück, fünfhundert Jahre oder mehr, schätzte ich. Dabei sah er so alt aus wie ich, etwa vierundzwanzig Jahre. Wie alle Vamps war er äußerlich in dem Alter arretiert, in dem er die Gabe erhalten hatte – mit anderen Worten, zu einem Vampir gemacht worden war. Eine unsichtbare Brise kam auf und fuhr ihm ins Haar, ließ seine Mantelschöße flattern. Der feine Mehlstaub, der sich auf ihn gelegt hatte, hob sich und wurde weggeweht.
Ich blickte an mir hinab auf meine mehlverkrustete Haut. Seufz.
Die Vamps hatten aber auch immer die besten Tricks auf Lager.
Sein Blick richtete sich auf die Leiche, die auf dem Backtisch zwischen uns lag. »Es war unklug von dir, die Bäckerei zu betreten, ohne auf die Polizei zu warten.«
»Ja, ja, auf den Gedanken bin ich selbst schon gekommen.« Ich verzog das Gesicht. »Du kannst nicht zufällig sagen, ob sich hier noch irgendwo eine Hexe oder jemand anders versteckt, oder?«
Er schloss die Augen und atmete tief ein. »In diesem Teil
des Geschäfts ist seit einem Tag oder auch länger keine Hexe mehr gewesen. Und jetzt ist niemand mehr hier, außer uns beiden und dem Toten.«
Okay, Tomas’ Ex hatte also die Fliege gemacht, und in den Fässern befand sich bloß Mehl. Da kam mir plötzlich ein ganz anderer Gedanke. Malik war mir gefolgt. Ob er gehört hatte, was der Lehrling vom Blumenladen zu mir gesagt hatte?
»Der Junge draußen sagt, er hätte eine Frau reingehen sehen und einen Streit gehört?« Ich verengte meine Augen.
»Er hat gelogen.«
»Aha.« Ich schürzte die Lippen. Die guten alten Supersinne der Vamps entdecken eine Lüge auf drei Kilometer. Ein Lügendetektor ist ein Dreck dagegen. »Dann gehört er also mit zu der Verschwörung?«
»Nicht unbedingt. Sein Geist wurde manipuliert.«
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