Der Kalte Kuss Des Todes
-
Jemand packte mich am Handgelenk.
Ich zuckte zurück.
»Bleiben Sie ruhig, Genevieve«, sagte eine feste Stimme. Ich schaute auf und sah Joseph, der mich zuversichtlich anlächelte. Sein Gesicht war leicht verzerrt, denn er trug eine transparente Gesichtsmaske. Diese Maske hatte eine Bedeutung, eine
gute … Ich überlegte. Meine Panik ließ nach, und auf einmal wusste ich wieder, was zu tun war.
»So ist’s gut, Genevieve. Und jetzt knien Sie sich bitte auf den Teppich.« Er zog mich behutsam vom Bett. »Gut.«
Er ging vor mir in die Hocke und stellte grimmig einen grünen Plastikeimer zwischen uns.
»Ich werde Ihnen jetzt Blut abnehmen, keine Sorge, das geht ganz schnell.« Er hatte eine Infusionsnadel in der Hand, deren Schlauch mit einem leeren Blutbeutel verbunden war.
»Muss schneller geh’n«, nuschelte ich undeutlich. »Messer … brauch Messer.«
Seine Miene wurde unsicher. Die Infusionsnadel verschwand, und er hielt mir stattdessen ein Skalpell hin. Die Klinge blinkte in der Spiegelwand.
Ich nickte. Das Herz drohte, mir aus der Brust zu springen, so heftig klopfte es. Ich begann unkontrolliert zu zittern. »Los.« Ich streckte meinen Unterarm über den Eimer.
Er setzte das Skalpell an die dicke Ader an meinem Unterarm. Ein rosa Schweißtropfen fiel mir von der Stirn und traf Josephs behandschuhte Hand. Er schnappte erschrocken nach Luft, hob den Kopf und blinzelte mich mit seinen Eulenaugen nervös an.
»Ich habe das schon lange nicht mehr gemacht«, gestand er und schluckte. Ich sah seinen Adamsapfel auf und ab hüpfen.
Ich packte seine Hand – er zuckte zusammen – und schlitzte mir den Unterarm vom Ellbogen bis zum Handgelenk auf. Der anfängliche scharfe Schmerz schlug sogleich in ein überwältigendes Lustgefühl um, das meinen ganzen Körper kribbelnd durchrieselte. Mein Blut trat dick und zäh hervor wie flüssiger Teer, und es roch auf einmal nach Lakritz und nach Kupfer und nach Honig. Ich empfand den überwältigenden Drang, weiter zu schneiden und zu schlitzen, mehr Blut über
meine Haut fließen zu sehen. Es war wie ein Sirenenruf, ein verführerisches Wispern -
»Um Gottes willen, aufhören!«
Joseph riss seine Hand weg und schleuderte das Skalpell fort. Es traf klirrend einen Spiegel und blieb auf dem dicken Teppich liegen.
Ich holte tief Luft, setzte mich auf die Fersen und machte die Augen zu. Mein Blut rann warm an meinem Arm hinab und tropfte leise in den Eimer. Ich lauschte diesem Geräusch und Josephs etwas schnelleren Atemzügen, wartete darauf, dass mein Herzschlag sich wieder ein wenig normalisierte. Es kommt immer wieder vor, dass Venom-Junkies verbluten, verzückt vom Anblick ihres Bluts, benebelt vom Rausch, der ihre Sinne verwirrt.
Nach einer Weile fragte ich: »Welcher Tag ist heute?«
»Freitag.«
Verdammt. Ich war seit Dienstagvormittag k.o. gewesen und hatte drei Tage verloren. Ich schlug die Augen auf. Mein Blut tropfte immer noch träge in den Eimer, besaß nun jedoch die Konsistenz von dickem Honig – ein Aspekt des Vampirgifts. Ich zog den Schnitt auf meinem Unterarm auseinander. Wieder tat es nur kurz weh, und dann wallte ein herrliches Lustgefühl in mir auf. Ich rutschte unruhig auf dem Teppich hin und her.
Joseph runzelte die Stirn. »Warum machen Sie das?«
»Mein Blut ist zu dick. Wenn ich das nicht mache, verliere ich nicht genug und kriege womöglich noch einen Anfall.«
»Ach so.« Er schaute in den Eimer, dann auf mich. »Sie steuern schon seit gestern auf einen Blutfieberanfall zu; Sie sind hypersensibel, und die Anzahl Ihrer roten Blutkörperchen ist phänomenal – ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich hatte schon überlegt, Ihnen Blut abzunehmen, bevor Sie zu Bewusstsein kamen, habe dann aber wieder davon Abstand genommen,
weil Ihre Verletzungen nicht zu heilen schienen. Ich war mir nicht sicher, ob es vielleicht mehr schaden als nützen würde.« Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. »Ich habe noch nie eine Sidhe behandelt.«
Ich warf einen Blick auf meine fleckige Haut. »Für drei Tage ist das gar nicht so schlecht.«
»Das ist nicht in drei Tagen passiert. Malik hat Ihnen sein Blut gegeben, sobald er dazu in der Lage war. Er besitzt die wahre Gabe. Sein Blut hat Sie innerhalb von einer Stunde so weit geheilt, wie Sie jetzt sind. Aber seitdem ist keine Besserung mehr eingetreten.«
Nun runzelte ich die Stirn. Da stimmte was nicht. No pain no gain , sagt man. Ohne Schweiß kein Preis. Ich glaubte mich zu erinnern, gehört zu
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