Der Kalte Kuss Des Todes
ihn haben oder nicht. Aber meine Vorgesetzten bestehen auf absoluter Diskretion. Man will nicht, dass etwas über diesen Gegenstand an die Öffentlichkeit dringt.«
»Mit anderen Worten, man vertraut mir nicht.«
»Bitte vielmals um Verzeihung«, beeilte er sich zu versichern. »Ich selbst riet dringend zur Offenheit. Ich habe erzählt, dass Sie mir das Leben gerettet haben – unter Einsatz Ihres eigenen – und dass Sie es verdienen, dass man Ihnen die Wahrheit sagt, aber -«
»Aber ich bin eine gesuchte Mörderin. Keine Sorge, ich verstehe schon, was Sie meinen.«
Seine Wangen liefen knallrot an.
»Dachte ich’s mir doch.« Ich warf einen Blick auf meine Hand. Die Schnitte waren bereits verkrustet.
Mein Blick fiel prüfend auf Thaddäus. Knüppler wurden gewöhnlich nur in Sucker Town beschäftigt. Sie waren eine private Sicherheitstruppe, die von den Vamps bezahlt wurde, um die Sicherheit in den nächtlichen Straßen zu gewährleisten. Das mag wie ein Widerspruch klingen, ist es aber nicht, denn Kobolde sind äußerst pflichtbewusst und ausschließlich auf ihre Aufgabe konzentriert.
Aber die Souler sind die einzigen Menschen, die sich von Knüpplern begleiten lassen, wenn sie geschäftlich mit Vamps oder Magie zu tun haben, anstatt von den kleineren, gesellschaftlich akzeptableren Monitor-Goblins. Wer überall mit einem knüppelschwingenden, muskelbepackten Kobold als Bodyguard auftaucht, kann wohl kaum auf das Vertrauen seiner Geschäftspartner hoffen.
Es überraschte mich daher nicht, dass der Souler Neil Banner mit einem Monster von Kobold aufgetaucht war … aber er hatte unsere erste Begegnung erwähnt. Damals hatte er einen blutjungen, unerfahrenen Knüppler an seiner Seite gehabt, der erst vor kurzem vom Land nach London gekommen war – und das ausgerechnet zu einem Treffen mit dem Earl und einigen seiner fangzähnigen Kumpane.
Entweder hatte er also innerhalb seines Ordens enorm an Stellenwert gewonnen, oder aber man hielt diese Mission für äußerst wichtig.
Apropos Earl – jetzt wusste ich auf einmal, worum es sich bei diesem »delikaten Gegenstand« handelte. Der Earl war der Einzige, der kürzlich verstorben war und mir etwas Wertvolles geschenkt hatte.
Das Fabergé-Ei.
Meine Bullshitantenne zuckte. Wieso sollte ein Vampir einer religiösen Organisation, die Vampirismus bekanntermaßen als Teufelswerk verdammte, einen so wertvollen Gegenstand vermachen? Oder überhaupt etwas? Außerdem war der Earl schon mindestens achthundert Jahre alt gewesen und hatte nicht erwartet, so plötzlich zu sterben.
Aber bevor ich fragen konnte, platzte jemand durch die Eingangstür und kreischte: »Wo ist die Sidhe?«
14. K apitel
W o ist die Sidhe?«, kreischte das Mädchen noch einmal. Sie trug ein recht dürftiges Outfit, bestehend aus einem grauen, ausgewaschenen Trägertop und einem grauen Samtminirock mit Spitzensaum. Die weiß gefärbten Haare hingen ihr bis zu den schmalen, knochigen Hüften hinab. Jeder, der sich auskannte, wusste sofort, was sie war: eine Motte aus Sucker Town. Mädchen und Jungen wie sie lebten – und starben – in den unlizensierten Bluthöhlen abseits der Touristenplätze. Ihre Haut wies so viele geschwollene rote Bisse auf, dass sie aussah wie die Vorspeise auf dem Teller einer Fang-Gang. Sie war so high, dass man einen Drachen mit ihr hätte steigen lassen können.
Das Schlimmste jedoch war, dass sie mit einem zwanzig Zentimeter langen Fleischmesser herumfuchtelte. Sie sah aus wie eine gespenstische, dürre kleine Amazone.
Was wollte sie von mir? Und ausgerechnet hier?
»Ich muss die Sidhe sprechen«, brüllte sie, »muss die Sidhe sprechen. SOFORT!« Sie war so aufgepeitscht, ihr Adrenalinspiegel so hoch, dass ihre Worte verschwammen. Sie schlug mit dem Messer auf den Empfangstresen.
Hari kam, die Hände beschwichtigend vorgestreckt. »Leg das Messer weg, Kleine, oder du wirst dir noch wehtun«, brummte er besorgt. Er ging langsam auf sie zu, nahm mir mit seinem mächtigen Körper die Sicht auf das zierliche Mädchen.
»Neiiiiin!«, kreischte sie, die lila geschminkten Lippen weit
aufgerissen. Mit gezücktem Messer sprang sie auf ihn zu. Hari wich zurück, und die Motte sauste, durch den eigenen Schwung getragen, an ihm vorbei und kam schlitternd vor den Aufzügen zum Stehen. Dort schwankte sie wie ein Bäumchen im Sturm.
Thaddäus neben mir stampfte auf, und die Sohlen seiner Trainer blinkten rot. Angriffslustig hob er seinen Aluminiumknüppel.
Neil Banner
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