Der Kalte Kuss Des Todes
angelegt und wirkte auf diese Weise schon viel weniger bedrohlich.
Dann hörte ich hinter mir plötzlich schwere Stiefeltritte. Die Verstärkung war unterwegs – aber sie kam so laut daher wie eine Horde Elefanten, ein viel zu bedrohliches Geräusch; die Wärter des HOPE waren normalerweise nicht so unvorsichtig.
Die Motte erstarrte und hörte auf, sich zu kratzen. Sie fing ängstlich zu zittern an.
Ein Blinken erregte meine Aufmerksamkeit, und ich schaute zu den Aufzügen. Einer kam vom dritten Stock herunter. Und wer immer in dem Lift stand, würde ahnungslos mitten in diesen Schlamassel platzen.
Mit einem Auge auf den Liftanzeiger, versuchte ich die Situation im Blick zu behalten.
Die Stiefeltritte kamen näher.
Neil Banner redete lauter, um die Aufmerksamkeit der Motte wieder auf sich zu lenken.
Der Lift passierte den zweiten Stock.
Zwei bewaffnete Wärter stürmten an mir vorbei.
Die Motte riss erschreckt die Augen auf und hob abwehrend ihr Messer.
Erster Stock.
Ich setzte mich in Bewegung, aber es war, als würde ich an dem beigen Laminatboden festkleben.
Die Wärter kamen mit grimmigen Gesichtern vor der Motte zum Stehen.
Erdgeschoss.
Sie stolperte rückwärts, wandte sich um, wollte fliehen.
Aber dort stand Hari und versperrte ihr den Weg.
Die Lifttür ging mit einem »ping« auf, und Grace erschien mit offenem Arztkittel, ins Lesen einer Krankenakte vertieft.
»Grace«, brüllte ich und machte einen Sprung auf sie zu, aber ich wusste, ich würde zu spät kommen, ich würde sie nicht mehr retten können.
Die Motte sprang verzweifelt auf den offenen Aufzug zu, ihren einzigen Fluchtweg …
Graces Kopf zuckte hoch, sie begriff sofort und erbleichte.
Die Motte kam mit gezücktem Messer auf sie zu, und Grace ging in einem Wirbel von Blättern zu Boden …
Ich war wie versteinert. Die Blätter schwebten langsam zu Boden.
An der Stelle, wo Grace gerade noch gestanden hatte, stand nun Bobby, die Arme fest um die Motte geschlungen. Er hatte seinen Mund zu einem Fauchen aufgerissen, und die Motte bot ihm in einer unbewussten Geste ihren Hals. Bobby senkte den Kopf, um zuzubeißen, die Zitrinen blinkten auf, und er taumelte mit einem Schmerzensschrei zurück, brach bewusstlos vor dem offenen Lift zusammen.
Die Motte stieß einen verzweifelten Schrei aus und fuhr sich mit den Fingernägeln über Gesicht und Hals, hinterließ tiefe blutige Kratzer. Die beiden Wärter stießen einen Warnruf aus und warfen sich auf sie, hielten die Zappelnde am Boden fest.
Ich fiel neben Grace auf die Knie. Sie lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden und rührte sich nicht. Ich packte sie bei der Schulter, und sie schlug meine Hand beiseite. »Hände weg!«, fauchte sie und schaute sich zornig zu mir um. Dann riss sie verblüfft die Augen auf. »Genny? Bist du das?«
»Wer sonst?« Ich drehte sie um und tastete sie panisch nach Verletzungen ab. »Sie hat dich doch nicht erwischt, oder?«
»Nein, Genny, alles noch dran.« Sie schob mich entschlossen beiseite. »So, und jetzt werde ich mich mal um diesen Schlamassel hier kümmern«, sagte sie laut über das Gekreisch der Motte hinweg. Sie rappelte sich hoch und schaute sich um. »Okay, das übrige Notfallteam sollte gleich da sein. Genny, du …«
Ihre Augen wurden glasig, und ihr Gesicht wurde ausdruckslos. Auch das Gekreisch der Motte verstummte. In der Eingangshalle breitete sich eine unheimliche Stille aus.
Gedankenfessel.
»Kacke«, murmelte ich und schaute zu Bobby hin, der bewusstlos vor dem Lift lag. Er umklammerte seinen Bauch,
und zwischen seinen Händen schaute der Griff des Fleischmessers hervor. Er sah gar nicht gut aus: Vor seinem Mund hatte sich blauroter Schaum gebildet, und aus der Bauchwunde sickerte Blut. Aber Bobby war ein Vampir, er konnte alles überleben, solange man ihm nicht den Kopf abschlug, sein Herz rausriss oder ihn zu einem Häuflein Asche verbrannte.
Er war nicht für die Gedankenfessel verantwortlich.
Ein Klopfgeräusch veranlasste mich, zu Thaddäus hinzuschauen. Der große Kobold stand breitbeinig vor Neil Banner und schlug rhythmisch mit seinem Stahlknüppel auf den Boden. Neil Banners Gesicht war ebenso ausdruckslos wie das von Grace, der Motte und den Wärtern.
Thaddäus fletschte bedrohlich die Zähne, auf denen die eingelegten Diamanten rot aufblitzten. Er starrte zum Eingang, und ich folgte seinem Blick.
In diesem Moment kam mir ein Gedanke, der mir schon längst hätte kommen müssen: Wieso sollte eine
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