Der kalte Schlaf
größer ist, weil du die Sache doppelt missbilligst. Du missbilligst, dass ich bereit bin, gegen das Gesetz zu verstoßen, indem ich dich für mich zu dem Kurs gehen lasse, und du missbilligst den Grund dafür, dass ich nicht selbst hingehe.« Verdammt. Offenbar habe ich Simon angeschrien, als wäre er Jo. Wie peinlich. »Tut mir leid«, murmele ich.
Warum fällt es mir leichter, bei einer polizeilichen Befragung frei zu assoziieren, als in einer Hypnotherapie-Praxis? Vielleicht kann ja Simon Waterhouse mich von meiner Schlaflosigkeit kurieren.
»Machen Sie weiter«, sagt er. Er würde einen guten Therapeuten abgeben. Er verlangt nicht von mir, dass ich eine Treppe entwerfe, das ist das Geheimnis seines Erfolgs.
»Jo hat genau das bekommen, was sie wollte. Sie trug die Last meiner Schuld, wie Jesus oder so, und konnte sich selbst als Heilige hinstellen. Sie hat es nicht für mich getan. Das hat sie klargestellt. In ihren Augen hätte ich es verdient, meinen Führerschein zu verlieren. Dinah und Nonie seien die Unschuldigen, die nicht noch mehr leiden sollten …«, ich male Anführungszeichen in die Luft, »als sie es bereits getan haben.«
»Das hat sie gesagt?«
Ich nicke, erfreut darüber, dass er es einer besonderen Beachtung für wert hält. Ganz subtil hat Jo mich damit in dieselbe Kategorie eingeordnet wie Sharons Mörder und sich als Retterin der Kinder dargestellt.
Simon schaut mich an und wartet.
»Ich muss die Kinder herumchauffieren können«, erkläre ich. »Zu Freundinnen, zum Reiten, zum Schlittschuhfahren … so gut wie überallhin. Um Dinahs und Nonies willen ist Jo ihrem Wunsch untreu geworden, ein moralisch vollkommenes Leben zu führen. Sie tut es immer wegen jemand anders, nie für mich. Vor ein paar Jahren habe ich ihr etwas anvertraut und sie gebeten, es Luke nicht zu erzählen. Es ging um etwas, das ich getan hatte.«
Warum erzählst du ihm das?
Tue ich ja gar nicht. Zu schildern, wie Jo auf das Geheimnis reagierte, ist etwas völlig anderes, als das Geheimnis zu offenbaren.
»Damals kannte ich Jo noch nicht so gut wie heute, sonst hätte ich es ihr niemals erzählt. Ich war noch geblendet von ihrer guten Seite. Sie war einverstanden, nichts zu sagen – um Lukes willen damals. Und von mir erwartet sie Dankbarkeit dafür, dass sie bereit war, ihre makellose moralische Integrität zu opfern, weil die Leute ihr so sehr am Herzen liegen, die gerade mal wieder von mir im Stich gelassen werden. Tut mir leid, wenn das alles keinen Sinn ergibt.«
»Doch, das tut es.« Simon, der in sein Notizbuch schreibt, setzt sich auf dem grünen Ohrensessel anders hin. Abgerissene Stofffäden ruhen auf seinen Schultern wie magere grüne Finger. Die meisten von Hilarys Möbeln sehen aus, als würden sie aus Wohnungsauflösungen stammen. Sie hat zu viel mit Kirsty zu tun, um an Möbel zu denken. Trotz seines vernachlässigten Zustands – die Farbe der Fensterrahmen blättert ab, aus der in die Haustür eingesetzten Scheibe fehlen Stückchen vom Buntglas – ist es ein schönes Haus. Besonders, wenn es die Alternative zu Jos Haus ist.
»Wissen Sie, was mir wirklich auf die Nerven geht?«, frage ich. »Jo hätte Luke ja erzählen können, was sie für sich behalten sollte. Was hinderte sie daran? Aber sie lag mir ständig in den Ohren damit, dass ich es ihm selbst sagen müsse, sie flößte mir schreckliche Schuldgefühle ein. Sie sagte, dass sie schrecklich darunter leide, dass sie ihn anlügen müsse. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis mir aufging, dass sie es trotzdem tat, auch wenn sie es offenbar so furchtbar fand. Falls man es überhaupt als Lüge bezeichnen kann, jemandem etwas zu verschweigen, was er gerne wissen würde.« Ich seufze, schließe die Augen und zwinge mich, sie wieder aufzuschlagen. »Ich habe ihr versichert, ich würde es Luke nicht sagen, niemals, aber es war, als würde sie mich gar nicht hören. Sie drängte mich immer weiter, es ihm zu sagen, und zwar um ihretwillen. Schließlich leide ihre moralische Integrität, solange wir unter einer Decke steckten und es vor ihm geheim hielten.«
Simon runzelt die Stirn. »Ihre Schwägerin hat um Lukes willen geschwiegen, sagen Sie, aber wenn sie versucht hat, Sie zu überreden, es ihm zu sagen …«
»Ja, weil er es verdient hätte, es von mir zu erfahren, meine Beichte zu hören. Übersetzung: Sie wollte, dass ich Ärger bekam, ohne dass ich sie beschuldigen konnte, ihn verursacht zu haben. Deshalb hat sie nicht nach ihren sogenannten
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