Der kalte Schlaf
vorzuhalten. Sie fragte sich, was Simon wohl davon halten würde. Wann hatte sie vor, ihm reinen Wein einzuschenken?
Sie nippte an ihrem kalten Tee und wünschte, er wäre noch warm, aber nicht so sehr, dass sie etwas dagegen unternommen hätte. Jetzt konnten drei Dinge passieren: Veronique Coudert würde nicht antworten, oder sie würde antworten und entweder mitteilen, das Haus sei verfügbar oder es sei nicht mehr verfügbar.
In allen drei Fällen wirst du keine Ahnung haben, was das bedeutet.
Charlie wusste selbst, dass sie Simon sofort informieren sollte. Oder Sam. Der Name Veronique Coudert tauchte in der Akte Katharine Allen nicht auf, das wusste Charlie, aber es war denkbar, dass Coudert in den Sharon-Lendrim-Fall verwickelt war. Vielleicht waren die Akten der Polizei von Rawndesley voll von ihrem Namen. Oder Coudert war eine vollkommen unbescholtene Bürgerin. Was bedeuten würde, Amber Hewerdine besaß noch mehr Chuzpe, als Charlie ihr zugetraut hatte, wenn sie versuchte, die Hilfe einer Polizei-Sergeantin nur deshalb in Anspruch zu nehmen, weil sie sich darüber ärgerte, das Ferienhaus ihrer Wahl nicht mieten zu können. Dreiste Kuh.
Warum hatte Liv angerufen? Was hatte sie sagen wollen? Es hatte irgendwas damit zu tun, dass Katharine Allen als Kind in ein paar Fernsehfilmen mitgespielt hatte – warum sollte das wichtig sein? Liv zurückzurufen kam nicht in Frage. Charlie beschloss, stattdessen die Berichte und Protokolle noch einmal gründlich durchzulesen, um festzustellen, was es war, das Livs Aufmerksamkeit erregt hatte.
Sie hatte eine neue Mail, von littleorchardchobham@yahoo. co.uk. Sie klickte auf »Öffnen« und stellte fest, dass Amber recht gehabt hatte, sie war auf die schwarze Liste gesetzt worden. Die Eigentümerin von Little Orchard, deren gänzlich unfranzösischer Name ihr nichts sagte, war offenbar nur zu gern bereit, Charlie das Haus zu vermieten. Also warum nicht Amber?
Und wenn diese Frau, deren Mail Charlie auf dem Bildschirm hatte, die Eigentümerin von Little Orchard war, wie sie behauptete, wer war dann Veronique Coudert?
*
Nachdem er sich von Ursula Shearer verabschiedet und ein Sandwich heruntergeschlungen hatte, ohne etwas zu schmecken, war Sams nächste Aufgabe, nach Rawndesley zu fahren und Ritchie Baker zu vernehmen, den Bruder von Amber Hewerdines Schwägerin Jo. Sam wusste nicht, warum dieser Mann, der nur am Rande mit dem Fall zu tun hatte, von besonderem Interesse sein sollte, aber Simon hatte ihn gebeten, mit Baker zu sprechen, ihn nach gestern Nacht zu fragen und sich einen Eindruck davon zu verschaffen, was für ein Mensch er war. Oh, und seinen Gesundheitszustand zu überprüfen, soweit Sam das mit seinen fehlenden medizinischen Qualifikationen möglich war. Das hatte Simon am Schluss noch hinzugefügt, als eine Art Nachtrag. »Den Rest des Klans werde ich mir selbst vornehmen«, hatte er grimmig verkündet, und Sam hatte sich unwillkürlich vorgestellt, wie Simon mit der finsteren Miene, die er häufig zur Schau trug, ein Familienmitglied nach dem anderen zu Boden streckte.
Sollte es Sam Sorgen machen, dass er Simons Anweisungen befolgte, obwohl eigentlich er der Chef war und die Vorgaben für die Ermittlungen zu machen und die Aufgaben zu verteilen hatte? Aber wenn Simon der Ansicht war, dass Ritchie Baker vernommen werden sollte, hatte er vermutlich Recht. Sam war entschlossen, sein Selbstvertrauen von Prousts zersetzenden Kommentaren nicht noch weiter untergraben zu lassen. Zu einem guten Teamleiter gehörte es auch, die Stärken seiner Teammitglieder zu erkennen und ihnen die Gelegenheit zu geben, sich hervorzutun. Das jedenfalls fand seine Frau Kate. Sie war entsetzt gewesen, als sie erfuhr, wie kurz davor er gewesen war, seine Kündigung einzureichen, aus Solidarität mit Simon und Gibbs. »Im Notfall könntest du auch ohne Simon Waterhouse leben, weißt du«, hatte sie bemerkt.
Als er über den Parkplatz zu seinem Wagen ging, hörte Sam, wie eine Frauenstimme seinen Namen rief. Er drehte sich um und entdeckte Olivia Zailer, Charlies Schwester. Erst hatte er sie gar nicht erkannt. Sie hatte abgenommen. Der Mantel, den sie trug, hatte die auffälligsten Ärmelaufschläge und den auffälligsten Kragen, den Sam je gesehen hatte. Ihr schimmernder rosa Lippenstift war fast fluoreszierend, und das Haar, das kunstvoll zu einer Art Turm nach oben geschlungen war, wies unglaublich viele Blondschattierungen auf. Nicht viele Leute, die im Präsidium auftauchten,
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