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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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sicher, aber er ist nicht blutsverwandt. Er ist kein Mitglied von Jos erster Familie, der Familie, die im Wohnzimmer blieb, um irgendetwas Geheimes und Wichtiges zu besprechen, nachdem alle anderen zu Bett gegangen waren.
    Wenn jemand weiß, warum Jo in dieser Nacht den Entschluss fasste, mit ihrem Mann und ihren beiden Kinder zu verschwinden, dann sind das Hilary, Jos Mutter, oder Ritchie, ihr Bruder. Und ob sie es nun wissen oder nicht, ich würde wetten, dass Jos Verschwinden irgendwie von diesem privaten Gespräch im Wohnzimmer ausgelöst wurde oder mit ihm zusammenhängt.
    Alles in Ordnung, Simon? Wollen Sie ein Glas Wasser?

8
    2. 12. 2010
    »Ehren Sie Ihre Eltern?«, fragte Marianne Lendrim, als würde sie die Vernehmung durchführen. Als sie sich anstandslos bereiterklärt hatte, ins Präsidium zu kommen, war Gibbs davon ausgegangen, dieses Entgegenkommen würde sich auch auf die Beantwortung seiner Fragen erstrecken. Irrtum. Sie hatte ihn gelöchert, und dabei hatte es sie offenbar nicht im Mindesten gestört, dass er ganz entschieden erklärt hatte, er könne ihr gar nichts sagen, da die Ermittlungen vertraulich seien. Die Frage über seine Eltern war die erste, die er beantworten konnte.
    »Ich komme ganz gut mit ihnen klar«, erwiderte er.
    »Klarkommen ist einfach. Aber wissen Sie zu würdigen, was Ihre Eltern alles für Sie getan haben?«
    »Wahrscheinlich nicht so sehr, wie ich sollte.« Es war nichts Persönliches. Laut Olivia würdigte er die meisten Dinge nicht ausreichend. »Es ist nicht deine Schuld«, hatte sie gesagt. »Ich mache deine Eltern dafür verantwortlich, obwohl ich ihnen nie begegnet bin. Die Kinder von Menschen, die sich für etwas begeistern können, werden selbst zu Menschen, die sich begeistern können. Haben deine Eltern dich je auf schöne Dinge aufmerksam gemacht, als du klein warst? Haben sie über Schönheit und Freude gesprochen, wussten sie, wie man sich amüsiert? Viele Leute machen das nicht.«
    Gibbs Eltern redeten überhaupt wenig, und wenn, dann über nichts Bestimmtes. Nur über den üblichen Mist, wie die meisten Leute. Gibbs hatte mehr mit seinen Eltern gemein als mit Olivia. Schönheit und Freude? Niemand, den er kannte, redete über so etwas, aus offensichtlichen Gründen. Sogar der Gedanke daran kam einem falsch vor, wenn man Marianne Lendrim gegenübersaß, dem absoluten Gegenpol von Schönheit und Freude. Ihr graues Haar war geflochten und hinter den Ohren zu
    Cumberland-Wurstschnecken aufgesteckt. Die Wangen hingen zu beiden Seiten der Nase herab wie leere rosa Säckchen. Ihre Miene war überlegen und kritisch, als würde nichts von dem, was sie sah und hörte, ihr gefallen. Die Sachen, die sie trug, würden jedenfalls niemandem gefallen: Der an den Seiten geschlitzte Samtrock mit Seidenfutter sah teuer aus, dazu trug sie schwarze Wollstrumpfhosen und klobige schwarzgraue Turnschuhe. Hatte sie vor, zu einer Audienz bei der Queen in den Buckingham Palace zu sprinten, sobald Gibbs mit ihr fertig war?
    »Wenn ich Sie wäre, würde ich anfangen, Ihre Mutter und Ihren Vater zu würdigen«, riet Marianne ihm. »Sie wollen doch nicht jung sterben, oder?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich sie nicht zu würdigen wüsste. Was hat das mit jung sterben zu tun?«
    »Kinder, die ihre Eltern nicht ehren, neigen dazu, jung zu sterben. Wie Sharon.« Gibbs führte die Schadenfreude in ihrer Stimme auf die ungerechtfertigte Annahme zurück, sie habe ihn schockiert und ihm Angst eingejagt.
    »Sharon ist gestorben, weil jemand ihr Haus angezündet hat«, sagte er. »Waren Sie dieser Jemand?«
    »Sie wissen, dass ich es nicht war«, blaffte Marianne. Immer, wenn er versuchte, das Gespräch zu steuern, wurde sie böse. Sie wollte ihre Monologe offensichtlich ohne Unterbrechung führen. »Ich war in Venedig.«
    »Haben Sie jemanden beauftragt, für Sie Feuer in Sharons Haus zu legen?«
    »Nein, und wenn Sie vorhaben …«
    »Dann kann ihr Tod nichts mit ihrer mangelnden Würdigung von Ihnen als Mutter zu tun haben, es sei denn, mir ist da was entgangen.«
    Ein selbstgefälliges Lächeln erschien zwischen den beiden verschrumpelten rosa Wangensäckchen. »Denken Sie an all die großen Autoren und Künstler, die jung gestorben sind: Kafka, Keats, Proust, fast alle, die einem einfallen. In ihren Biographien liest man, dass sie an einer Krankheit gestorben sind, aber was hat die Krankheit ausgelöst?«
    »Haben Sie mit den Ärzten all dieser Leute gesprochen, oder was?«
    »Anstatt

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