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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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nicht überlegen zu fühlen, als ihm aufging, dass Ursula Shearer nie irgendwo anders als in Rawndesley gewohnt hatte.
    »Auf Wiedersehen, Olivia«, sagte er entschieden, schloss sein Auto auf und öffnete die Wagentür. Abgesehen von allem anderen war es bitterkalt.
    »Augenblick, ich bin noch nicht fertig.« Sie beugte sich vor und packte ihn am Arm. »Katharine Allen war Grundschullehrerin. Als Kind war sie Schauspielerin.«
    »Was soll das?« Etwas brach in ihm auf, das er unmöglich unterdrücken konnte. Er wollte es auch gar nicht, diesmal nicht. »Für wen halten Sie sich eigentlich? Mich am Arm zu packen, als wäre ich irgendein … Das Ganze geht Sie nichts an. Ich kann den Fall nicht mit Ihnen erörtern, und wenn Sie das nicht einsehen, wenn Sie nicht begreifen oder es Ihnen egal ist, in welch schwierige Lage Sie mich bringen … Ich soll dankbar sein, dass Debbie nichts davon weiß? Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich? Ist Ihnen noch nie der Gedanke gekommen, dass Sie mit Ihrem Gehabe zwei Mordermittlungen ernsthaft gefährden?« Was war hier los? Ich brülle doch niemanden an, dachte Sam. Niemals. Was hatte er gesagt? Wieso weinte sie? Bestürzung erfasste ihn. Hatte ihn jemand gehört? Leicht möglich, dass jemand seinen Ausbruch mitbekommen hatte. Gibbs, Simon, Proust – das waren die Leute, die er anschreien sollte. Nicht Charlie Zailers Schwester.
    Sie hastete bereits davon. Sam blieb wie angewurzelt stehen und starrte hinter ihr her, etwas lastete schwer auf ihm. Er identifizierte es als Gewissensbisse, gemischt mit den Überresten seiner Wut.
    Kurz bevor sie die Straße erreicht hatte, drehte Olivia sich noch einmal um, und wieder war Sam bestürzt über ihre Tränen. Offenbar hatte sie erheblich mehr davon vergossen, als er es für möglich gehalten hätte, schließlich war sie erst vor wenigen Sekunden davongestürmt. Es musste noch weit schlimmer sein, von jemandem angebrüllt zu werden, der für seine Höflichkeit bekannt war.
    Er hatte es verbockt, Sam wusste es. Es war nicht fair, Leute einzulullen und ihnen ein falsches Gefühl von Sicherheit zu geben, indem man sich ach-so-milde und ansprechbar gab, und dann dermaßen die Beherrschung zu verlieren. »Olivia, kommen Sie zurück«, rief er. Wäre sie nicht vor ein paar Jahren fast an Krebs gestorben?
    »Nein, ich komme nicht zurück! Niemals!«, brüllte Olivia über den Parkplatz. Eine Gruppe junger Uniformierter, die gerade das Präsidium verließen, taten ihr Bestes, sich ganz natürlich zu geben. Sam wünschte, er wäre unsichtbar. Musste sie es unbedingt klingen lassen wie eine Meinungsverschiedenheit zwischen Liebenden? Es war keine »Ich-komme-nie-wieder-zurück«-Situation. Nur Sekunden vorher war Sam sicher gewesen, dass es eine »Hören-Sie-auf-mich-vor-dem-Präsidium-anzuquatschen-wie-eine-Verrückte«-Situation war.
    »Ich sage Ihnen nichts. Gar nichts! Eigentlich sollte es überhaupt nicht nötig sein, dass ich irgendwas sage. Katharine Allen war ein Kinderstar und wurde später Grundschullehrerin. Sie sind doch der große, wichtige Ermittler. Sie sollten in der Lage sein, es selbst rauszukriegen.« Damit marschierte sie auf ihren unmöglich hohen Absätzen davon.
    Sam stieg in seinen Wagen und fuhr schleunigst los. Nur weg von hier. Wie hoch waren die Chancen, dass er sich jetzt noch auf seine Arbeit konzentrieren konnte? Null. Er hoffte, dass Ritchie Baker nichts dagegen hatte, seine Antworten mehrmals zu wiederholen. Katharine Allen war ein Kinderstar. Später wurde sie Grundschullehrerin.
    Was zum Teufel sollte ihm das sagen, abgesehen von dem, was er bereits wusste?

 
    Endlich, ein Vorwurf! Wenn das erfreut klingt, dann deshalb, weil ich erfreut bin. Vorwürfe sind immer gut, vom Standpunkt des Therapeuten aus betrachtet. Wir betrachten es als ein Zeichen dafür, dass wir einen Nerv getroffen haben, dass wir einer schmerzlichen Quelle der Angst, von Schuldgefühlen oder Scham zu nahe gekommen sind. Oder aber der Klient hat einen berechtigten Grund zur Klage. Versuchen wir herauszuarbeiten, was von beiden zutrifft.
    Amber wirft mir vor, dass ich rede, als wäre Kirsty völlig bedeutungslos, als wären Jo, Hilary und Ritchie die Einzigen, die in jener Szene am Heiligabend eine Rolle gespielt haben. So wie ich es erzählt habe, hätte Kirsty auch ein Möbelstück sein können. Es ist vielleicht lohnenswert, sich in Erinnerung zu rufen, dass Amber sich einmal einen ganz ähnlichen Vorwurf von Jo eingehandelt hat. Jo fand

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