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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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ihre Eltern zu schätzen und zu ehren, haben sie sie als Problem wahrgenommen. Als Hindernis. Es ist ja logisch. Wenn man Undankbarkeit und Groll gegenüber den Menschen hegt, die einem das Leben geschenkt haben, greift man die eigene Lebenskraft an. Das ist die Ursache fast aller Krankheiten.«
    Gibbs wünschte, er hätte einen Beruf, bei dem er sich nicht so viel Mist anhören müsste. Wenn Proust ihn heute Morgen entlassen hätte, wäre jetzt jemand anders an der Reihe. Er hätte gut sein ganzes Leben verbringen können, ohne Marianne Lendrim zu begegnen.
    »Denken Sie an die Leute, die Sie kennen. Wer sind die Robusten? Wer ist ständig krankgeschrieben wegen einer Erkältung oder Migräne? Gesunde Menschen respektieren und schätzen ihre Eltern. Wenn Sie mir nicht glauben, forschen Sie selbst nach. Sie werden zu mir kommen, um mir zu versichern, wie Recht ich hatte. Da wären Sie nicht der Erste, das können Sie mir glauben. Wenn Sie in Ihrem Herzen irgendeine Art Negativität gegenüber Ihren Eltern hegen, wird der Körper die eigene vitale Energie angreifen. Es ist nur eine Frage der Zeit.« Ein listiger Gesichtsausdruck erschien auf Mariannes Gesicht. »Diese Katharine Allen – wie stand sie zu ihren Eltern? Sie ist ebenfalls jung gestorben.«
    »Es gab keine Probleme zwischen Kat und ihren Eltern.«
    »Sagen Sie. Das können Sie doch gar nicht wissen.«
    »Kat Allen wurde erschlagen. Es ist schwer zu erkennen, wie Ihre Theorie auf sie Anwendung finden sollte. Oder auf Sharon. Können negative Einstellungen Feuer legen? Können sie Metallstangen auf jemandes Kopf niedersausen lassen?«
    Marianne warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Ich bin nicht Gott. Ich weiß nicht alles über die Gesetze von Ursache und Wirkung. Was ich aber weiß, ist Folgendes: Wenn man zerrissene Herzwellen in die Welt sendet, kehren sie zu einem zurück – auf welche Weise, lässt sich unmöglich vorhersagen.«
    »Sharon hat Sie also nicht geschätzt. Haben Sie Sharon geschätzt?«
    Marianne lachte, als sei diese Frage absurd. »Ich war ihre Mutter. Mütter sollen ihre Töchter lieben, nicht sie schätzen. Töchter opfern nichts für ihre Mütter, gar nichts. Kinder schulden ihren Eltern Anerkennung und Respekt, und das ist eine einseitige Schuld, genau wie die Verpflichtung zur Fürsorge einseitig ist, von den Eltern zum Kind.«
    Gibbs war baff.
    »Ich habe nie aufgehört, Sharon zu lieben«, versicherte Marianne. »Obwohl sie Gott weiß objektiv gesehen nichts Liebenswertes an sich hatte, das muss man so klar sagen.«
    »Wo waren Sie gestern zwischen Mitternacht und zwei Uhr nachts?«, fragte Gibbs.
    »Im Bett. Ich habe geschlafen. Das tue ich meistens um die Zeit.«
    »Allein?«
    »Ja.«
    »Erinnern Sie sich, wo Sie am Dienstag, den 2. November, waren?«
    »Dienstags arbeite ich ehrenamtlich im Spital«, sagte Marianne. »Also war ich vermutlich dort. Ich habe mir in letzter Zeit keinen Tag freigenommen.«
    »Katharine Allen wurde am Dienstag, den 2. November, zwischen elf und dreizehn Uhr ermordet. Was haben Sie an dem Tag in der Mittagspause gemacht, wissen Sie das noch?«
    »Also, ich habe kein Mädchen umgebracht, von dem ich noch nie etwas gehört habe, wenn Sie das andeuten wollen.« Sie starrte Gibbs voller Verachtung an. »Ich kann umsonst in der Kantine essen, wenn ich Dienst habe, also gehe ich immer in die Kantine, mit einer Zeitschrift und meinem Kreuzworträtsel – da können Sie jeden fragen, der da arbeitet.«
    Das hatte Gibbs auch vor, obwohl es schwer war, Begeisterung für diese Idee aufzubringen – er wusste bereits, was er zu hören bekommen würde. Marianne Lendrim sagte die Wahrheit. Sie stand ziemlich weit oben auf der Liste der Leute, denen Gibbs nie wieder begegnen wollte, aber sie hatte Kat Allen nicht ermordet, und sie hatte ihre Tochter nicht getötet. Solange kein Gesetz gegen eine unangenehme Wesensart erlassen wurde, gab es nichts, weshalb er sie einsperren konnte oder das er ihr zur Last legen konnte.
*
    Nachdem sie das Richtige getan und sich geweigert hatte, Amber Hewerdine ihren Riesengefallen zu tun, sah Charlie keinen Grund, warum sie nicht die Ferienhaus. Direktvon-Privat-Website besuchen und sich das Haus mal ansehen sollte, das, wie Amber behauptete, nichts mit dem Mord an Katharine Allen zu tun hatte. Little Orchard. Sie gab den Namen in die Suchmaske ein und dachte, dass er ihr nicht sonderlich gefiel. Es roch nach falscher Bescheidenheit. »Eine Obstplantage? Ja, aber nur eine

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