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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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nicht einordnen kann. Dann erkenne ich, dass es Muskatnuss ist. Wenn ich einer Buchhalterin oder einer Anwältin begegnen würde, die nach Muskatnuss riecht, würde ich annehmen, dass sie Kekse gebacken hat. Aber Ginny ist Hypnotherapeutin und hat sich offenkundig für Muskatnussöl statt Parfüm entschieden.
    Vorurteile haben etwas Tröstliches. Jeder Mensch sollte dafür sorgen, mindestens drei zu kultivieren.
    Ich trete ein und stampfe mit den Stiefeln fest auf die Fußmatte. Schnee rutscht von ihnen ab und wird transparent, als er schmilzt. Ich ziehe den Mantel und die Handschuhe aus, lege Mütze und Schal ab und versuche, mich nicht über die Lebenszeit zu ärgern, die ich hier verbringen muss. Es fällt mir schwer. Wenn ich am Dienstag nicht hergekommen wäre, wenn ich nicht auf die Leute gehört hätte, die mir Hypnose als letzten Ausweg angepriesen haben … Wenn es wirklich eine so großartige Möglichkeit ist, warum entscheidet sich dann niemand sofort dafür? Warum wurde es nicht längst durch Mund-zu-Mund-Propaganda in die erste Liga erhoben?
    »Das ist eine Premiere für mich«, sagt Ginny. »Noch nie hatte jemand einen Termin, der einen ganzen Vormittag dauert.«
    Ich stelle den Liegesessel in eine möglichst aufrechte Position, denn in dieser Lage fühle ich mich wohler, mehr auf Augenhöhe. Woran liegt es, dass Hypnotherapie horizontal besser funktioniert als vertikal?
    Hör auf. Gib der Sache eine Chance.
    »Es tut mir leid, dass ich Ihnen vorgeworfen habe, mich angelogen zu haben«, sage ich zu Ginny. »Ich hatte kein Recht, sie anzuschreien und hinauszustürmen, ohne zu bezahlen. Sie waren im Recht, ich war im Unrecht. Es ist nur … ich war verwirrt. Ich dachte, Sie hätten etwas gesagt und mich gebeten, es zu wiederholen, und …« Ich unterbreche mich und frage mich, wie viel sie bereits weiß. »Hat Charlie Zailer Ihnen von dem Fall erzählt? Von dem Mord an Katharine Allen?«
    »Nein, hat sie nicht, aber ich bin später von der Polizei befragt worden.«
    »Hat man Sie über mich befragt?« Warum sonst sollte die Polizei mit Ginny reden, wenn nicht, um sie nach meinem Geisteszustand zu befragen, um zu erfahren, wie es kam, dass ich die magischen Worte aussprach, und ob ich dabei den Eindruck erweckt habe, eine Mörderin zu sein? »Was haben Sie ihnen erzählt?«
    Ihr Lächeln gefällt mir nicht. Es ist ein mitleidiges Lächeln, nicht die Art Lächeln, mit dem jemand, der noch einen Hauch Selbstrespekt besitzt, gern bedacht werden möchte. »Amber, ich bedaure, aber ich fühle mich nicht wohl dabei, Ihnen von meinen Gesprächen mit der Polizei zu erzählen. Warum reden wir nicht lieber darüber, was Sie heute gern machen würden?« Ihrem Tonfall nach zu urteilen, habe ich die Wahl zwischen Kinderschminken, Seilhüpfen oder im Sandkasten spielen.
    Hör auf. Ernsthaft. Wie würde es dir gefallen, mit dir zu tun zu bekommen? Gib der Frau eine Chance, um Himmels willen.
    »Lieb – Grausam – Liebgrausam«, sage ich.
    Ginny nickt, als würde sich das von selbst erklären.
    »Ich habe diese Worte auf einem Blatt Papier gesehen: Drei Überschriften, mit Leerraum dazwischen, liniertes Papier, blaue Linien, der Rand links durch eine rosa Linie markiert.«
    »Warum erzählen Sie mir, wie das Papier aussah?«, fragt Ginny.
    »Ich habe eine deutliche visuelle Erinnerung daran, aber an nichts anderes, kein Kontext. Ich muss wissen, wo ich dieses Blatt Papier gesehen habe. Hypnotherapie ist doch angeblich gut, wenn man Erinnerungen an die Oberfläche bringen will. Ich meine, dafür ist sie da, oder? Also … hier bin ich.«
    Dieses Blatt Papier ist der Teil des Rätsels, der noch fehlt. Dinah und Nonie haben niemanden umgebracht, William und Barney ebenso wenig. Also musste eins der Kinder das Geheimnis weitererzählt haben, und dieser Jemand schrieb dann die Worte auf einen Notizblock in Kat Allens Wohnung, bevor oder nachdem er eine Metallstange auf ihren Kopf niedersausen ließ. Wenn ich mich wieder erinnern kann, wo ich dieses abgerissene Blatt Papier gesehen habe, werde ich wissen, wer von den Menschen, die ich kenne, ein Mörder ist. Ich werde mir meiner Sache sicher sein.
    »Hypnotherapie ist ein großartiges Mittel, um verdrängte Erinnerungen ans Licht zu bringen«, sagt Ginny, »aber ich muss ehrlich zu Ihnen sein, Amber, denn es würde keinem von uns helfen, wenn ich es nicht bin: Ich spüre da ein potentielles Problem, und zwar ein ernstes.«
    Ich will nicht hören, was alles schiefgehen

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