Der kalte Schlaf
beißt sich durch.« Von oben kommt ein Krachen. Wir schauen beide hoch und sehen, dass die Decke bebt. Neil mustert die Tür des Gästeklos, als überlege er, sich wieder dorthin zurückzuziehen.
Ich hatte nicht erwartet, ihn heute zu treffen. Normalerweise bekomme ich ihn bei meinen Besuchen am Mittwoch nicht zu Gesicht. Er arbeitet fast immer länger. Ist es nicht ein wenig rücksichtslos von ihm, nach Hause zu kommen, obwohl in seinem Haus ganz offensichtlich kein Platz für ihn ist? Ich verfolge vom engen Flur aus, wie er die Treppe hinaufsteigt, um es sich dann, nach einem weiteren Krachen und dem Ausruf »Kirsty!«, anders zu überlegen und wieder herunterzukommen. Er kann nirgendwohin, um sein telefonisches Streitgespräch zu führen. Jo ist in der Küche und ruft nach mir, im Wohnzimmer unterhalten sich Quentin und Sabina, und die Kinder veranstalten einen Heidenlärm im Esszimmer.
Mir fällt ein, wie ich Neil fragte, was er denn so mache, als Luke mich seinem Bruder und dessen Frau vorstellte. »Ich habe eine eigene kleine Firma«, antwortete er, voller Zuneigung, als spreche er über einen Pudel oder einen Hamster. »Wir stellen Fensterfolien her.«
»Amber? Willst du den Tee nun oder nicht?«, gellt Jo.
»Komme!«
»Ciao, Amber!«, ruft Sabina.
»Ist das Amber?« Quentin klingt erstaunt. Hat er die Klingel nicht gehört oder überhört, wie Jo uns hereinbat, oder wie William und Barney wissen wollten, wann wir denn endlich kommen, was sie mindestens siebzehnmal getan haben müssen?
»Ich glaube, ich habe Amber noch gar nichts vom meinem Zusammenstoß mit Harold Sargent erzählt«, verkündet Quentin, als wäre das eine gute Nachricht für uns alle. »Luke habe ich es auch noch nicht erzählt, wenn ich’s recht bedenke. Natürlich überlegt Harold jetzt, sich einen dieser Treppenlifte einbauen zu lassen, aber ich sagte zu ihm, ich sagte: ›Das geht nicht bei allen Treppen, weißt du. Vielleicht geht es bei deiner Treppe gar nicht‹.«
O Gott, bitte mach, dass jemand oder etwas ihn ablenkt, bevor er sich auf die Suche nach mir macht, bewaffnet mit einer seiner langen, sinnlosen Anekdoten . Er hat mir noch nichts von seinem Streit mit Harold Sargent erzählt und sollte das auch nicht, weil ich absolut keine Ahnung habe, wer Harold Sargent ist. Selbst wenn ich am Anfang weiß, über wen oder was Quentin redet, verliere ich binnen zehn Sekunden den Faden. Seine Geschichten sind so langweilig, dass ich in Tagträumereien abdrifte, und wenn ich es merke und ihm wieder zuhöre, hat sich die Besetzung oft vollkommen verändert. Statt über Margaret Dawson und das Bahnhofsgeländer spricht er über die hochnäsige, feindselige Haltung eines gewissen Kevin und die Gefahren, die drohen, wenn ein Klärtank keine Glasfaserbeschichtung hat. Quentin und Pam hatten vor etwa zwanzig Jahren einen Klärtank, als sie weitab vom Schuss irgendwo zwischen Combingham und Silsford wohnten, und Quentin ist immer noch ganz besessen von den verdammten Dingern.
»Ich glaube, Amber ist im Moment zu müde, um sich zu unterhalten«, höre ich Sabina sagen. Danke, danke. »Du weißt ja, dass sie unter Schlaflosigkeit leidet.«
Darüber muss ich lächeln. Sabina weiß sehr gut, dass Quentin absolut gar nichts über mich weiß, obwohl ich seit fast zehn Jahren mit seinem Sohn zusammen bin. Deshalb erzählt sie es ihm. Zu seinen merkwürdigeren Eigenheiten gehört es, dass er nie irgendetwas über die Menschen in seiner unmittelbaren Nähe weiß, aber gleichzeitig bis ins kleinste, ödeste Detail über das Leben von Leuten informiert ist, denen wir noch nie begegnet sind. Sollte er auf der Straße zufällig Harold Sargent treffen, wäre er plötzlich eine Informationsquelle für die unbedeutendsten Kleinigkeiten meines alltäglichen Lebens, nur um den armen Harold besser langweilen zu können.
»Warum erzählst du es nicht stattdessen mir? Ich würde die Geschichte sehr gern hören«, versichert Sabina überzeugend. Sie ist ein Engel. »Soll ich dir vielleicht erst einen Tee machen?« Obwohl Quentin gesund und kräftig ist und keineswegs unter einer Behinderung leidet, ist er unfähig, irgendwas im Haushalt zu machen, und das verlangt auch nie jemand von ihm. Einmal, als wir Weihnachten bei mir feierten und alle außer ihm bei der Vorbereitung des Festessens halfen, schien es ihm tatsächlich peinlich zu sein, und er sagte zu mir: »Tut mir leid, dass ich nicht helfe.« Pam kicherte, als sei das die albernste Idee der Welt, und
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