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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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meinte: »Schon gut, Schatz. Das erwartet auch niemand von dir.«
    Sie hatte mehr Angst um Quentin als um sich, als sie im Sterben lag. »Er kann die einfachsten Dinge nicht, Amber«, flüsterte sie mir einmal zu. »Er kann nicht für sich selbst sorgen, und jetzt ist es zu spät, er kann es nicht mehr lernen.« Und warum nicht?, hätte ich am liebsten gebrüllt. Ein Ei zu kochen, ist heute doch wohl nicht schwieriger als vor fünfzig Jahren. »Es ist meine Schuld«, sagte Pam. »Ich habe ihn gerne umsorgt. Und er hat immer so schwer gearbeitet …« Wenn sie nicht schwerkrank gewesen wäre, hätte ich vielleicht deswegen Streit angefangen. Bevor er in Rente ging, war Quentin Leiter der Beleuchtungs- und Spiegelabteilung bei Remmicks. Wie anstrengend kann das schon gewesen sein? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es schaffen würde, fünf Tage in der Woche Lampen und Spiegel zu verkaufen und trotzdem am Wochenende eine Scheibe Brot in den Toaster zu schieben.
    Laute Stimmen dringen aus dem Esszimmer. »Nein, hört zu«, sagt William. »Ich bin älter als Dinah, Dinah ist älter als Nonie, Nonie ist älter als Barney, also …«
    »Nimm ›schöner als‹«, befiehlt Dinah. »Ich bin … oh, nein, das ist dasselbe, oder? Nimm ›hat ein Geheimnis vor‹.«
    Ich habe keine Ahnung, wovon sie reden, frage mich aber unwillkürlich, ob Dinah meinetwegen an Geheimnisse denkt.
    Warum sagst du nicht einfach, dass du es mir lieber nicht sagen würdest?
    »Amber? Dein edler Tee wird kalt!«, gellt Jo, als läge der Flur meilenweit von der Küche entfernt. In diesem Haus liegt nichts weit genug entfernt von allem anderen. Das ist eins der Dinge, die ich an dem Haus verabscheue, aber es gibt noch viele andere. Die kleinen bunten Kacheln in der Küche tun meinen Augen weh. Normalerweise bin ich sehr für Farbe, aber hier wird sie missbraucht. Jedes Zimmer ist in einer anderen fröhlichen Primärfarbe gestrichen, wie ein Kinderzimmer, und mit zu großen, zu gediegenen Möbeln vollgestopft, die meisten Antiquitäten und unpassend für ein Haus, das erst 1995 gebaut wurde. Man kann keinen Schritt tun, ohne über eine massive Mahagoni-Anrichte oder einen wuchtigen Schreibtisch aus Walnussholz zu stolpern. Tische ragen in merkwürdigen Winkeln in den Raum hinein, sodass man zu einem Zickzackkurs gezwungen ist. In der Küche steht eine überdimensionierte Frühstückstheke mit sechs hohen Hockern. Jo befiehlt mir immer, mich auf einen dieser Hocker zu setzen, damit wir miteinander plaudern können, während sie das Essen vorbereitet, und dann muss sie sich an mir vorbeizwängen und murmelt: »Entschuldige, wenn du mal kurz ein wenig zur Seite rücken könntest …« Ich kann nirgends an dieser Theke sitzen, ohne im Weg zu sein. Setze ich mich auf die Fensterseite, kann Jo nicht mehr an den Kühlschrank, vorn blockiere ich die Spülmaschine, und auf der Flurseite werde ich gegen die Tür der Speisekammer gequetscht.
    Kirsty macht oben noch immer einen Mordsradau. Ich höre, wie Hilary versucht, sie zu beruhigen, so, wie ich vorhin im Auto versucht habe, Nonie zu beruhigen. »Hi, Hilary«, rufe ich zu ihr hinauf. »Brauchst du Hilfe?«
    Neil, der auf dem Weg zur Haustür ist, schiebt sich an mir vorbei, das Handy immer noch am Ohr. Er öffnet die Tür und tritt hinaus. »Schön, jetzt kann ich Sie hören«, sagt er. Vielleicht war er eben noch wütend auf den Typen, mit dem er telefoniert, aber plötzlich klingt er ganz munter, und ich kann verstehen warum: Der beruhigende Verkehrslärm von der Straße ist eine Erleichterung.
    »Nein, danke, uns geht’s gut«, ruft Hilary die Treppe hinunter. »Wir kommen gleich.«
    Neil zieht die Tür hinter sich zu.
    Jo ist in der Küche und blättert in der Lokalzeitung. Sie hätte mir den Tee auch bringen können, statt ihn kalt werden zu lassen, aber sie zieht es vor, wenn sie an einem von ihr gewählten Ort Hof halten kann.
    Ich interpretiere schon wieder zu viel in alles hinein.
    »Nimm dir einen Hochstuhl«, sagt sie. So nennt sie die Hocker, die an der Frühstückstheke stehen. Weil sie jeden in eins ihrer Kinder verwandeln will.
    Um Himmels willen. Nun lass mal gut sein.
    »Sabina hat mich gerade vor einer von Quentins unendlichen Geschichten gerettet«, flüstere ich.
    »Sie kann wunderbar mit ihm umgehen. Mittlerweile ist sie mehr seine Nanny als die der Jungs.«
    Ich gebe den zustimmenden Laut von mir, den ich für die Gelegenheiten reserviere, bei denen ich anderer Meinung bin als Jo. Er

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