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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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zwischen transitiven und intransitiven Relationen beigebracht. Willst du es hören?«
    »Nicht das schon wieder!«, stöhnt Jo. »Das Kind ist besessen.«
    William neigt dazu, seltsame Fixierungen zu entwickeln. Er wirkt jedes Mal, wenn ich ihn treffe, älter, ernsthafter und pedantischer. Während Barney sich zurückentwickelt. Vor ein paar Wochen hat er angefangen, wieder wie ein Kleinkind zu sprechen. Jo findet es niedlich, mich treibt es in den Wahnsinn.
    »Du weißt den Unterschied nicht, stimmt’s?«, prahlt Dinah schadenfroh.
    Stimmt. Meine Bildungslücken sind offenbar erheblich.
    William, Nonie und Barney erscheinen in der Küchentür.
    »William hat es in der Schule gelernt, wie tausend andere Sachen auch, aber aus irgendwelchen Gründen ist es bei ihm hängengeblieben«, sagt Jo.
    »›Ist jünger als‹ ist eine transitive Relation«, erläutert Dinah. »Wenn ich jünger bin als William und Nonie jünger ist als ich, dann ist Nonie auch jünger als William. Eine intransitive Relation ist zum Beispiel ›ist sauer auf‹. Wenn ich sauer auf dich bin und du sauer auf Luke bist, heißt das noch nicht, dass ich sauer auf Luke bin, oder?«
    »Echt clever«, sage ich. Warum hat mir das nie jemand beigebracht?
    »Kommt, wir gehen und setzen noch ein paar Sachen auf die Liste!«, sagt Nonie.
    »Wir erstellen eine Liste transitiver und intransitiver Relationen«, teilt William mir mit. Sein Tonfall deutet an, dass ich ein Dummkopf bin, der nicht darauf hoffen kann, es je zu begreifen. Ich frage mich, ob er wohl Freunde in der Schule hat.
    »Waf if mit ›mag Piffa‹«, schlägt Barney in seinem neuen Baby-Dialekt vor.
    »Nein, das ist …«
    »Das ist fast vollkommen richtig, Barney. Du musst nur noch ein bisschen mehr hinzufügen.« Jo wirft William einen warnenden Blick zu. »›Mag Pizza mehr als‹ etwa. Gut gemacht, Barn! Kluges Kind!«
    Dinah wirft mir einen ungläubigen Blick zu. Ich denke an Nonies Mathe-Hausaufgaben und fühle mich ertappt.
    Als die Kinder wieder verschwunden sind, sagt Jo: »Williams Lehrer ist ein Genie. Ernsthaft. Ein echtes Genie – er hat sich jahrelang geweigert, irgendeinen Job anzunehmen, weil er nur lesen und denken wollte. Seine Lebensgeschichte ist faszinierend. Er wohnt in einem Hausboot.«
    War ja klar. In der Theorie ärgern mich Leute, die auf Booten wohnen, obwohl ich den einzigen Hausboot-Bewohner, dem ich je begegnet bin, einen Kollegen, ganz gern mochte.
    »Jo, wegen Quentin … Ich weiß, ich habe eben gesagt, du bist eine Heilige, und das bist du auch, aber … du weißt, dass du das nicht machen musst, oder? Wenn es unerträglich für dich wird, ihn hier zu haben …«
    Jo hört auf, Basilikum zu hacken. Sie legt das Messer hin und steht starr und reglos da, mit dem Rücken zu mir. »Was sagst du da?«
    Ich fühle etwas Hartes, Feindseliges auf mich zukriechen. Dass es unsichtbar ist, macht es nur umso bedrohlicher. Wie ist es mir nur gelungen, es zu verbocken? Ich habe mich für Jo eingesetzt, eine Taktik, die normalerweise verlässlich funktioniert.
    Was immer du jetzt sagen wirst, es wird falsch sein. Und du weißt nicht warum. Du wirst dich ungerecht behandelt fühlen und gleichzeitig Erleichterung empfinden, weil du zu dir sagen kannst: »Ja, so kann sie sein, es ist wahr. Es passiert gerade im Moment.«
    »Worauf genau willst du hinaus?« Jo spricht in einem Ton, von dem ich später kaum glauben kann, dass ich nicht übertreibe, wenn ich daran zurückdenke.
    Raten ist sinnlos. Ehrlichkeit ist meine beste Chance. »Ignorier mich einfach«, sage ich. »Ich weiß, du bist eine viel zu gute Schwiegertochter, um ihn an die Luft zu setzen. Ich fühle mich eben schuldig, das ist alles. Luke und ich sollten ihn dir dann und wann abnehmen, aber wir tun es nicht, weil der Gedanke, ihn bei uns zu haben …« Ich schaudere. »Vermutlich bin ich deshalb auf den egoistischen Gedanken verfallen, dir zu helfen, indem ich einfach vorschlage, dass du ihn wegschickst. Ich sehe ja, wie du unter ihm leidest, und je mehr du leidest, desto schlechter fühle ich mich. Und seien wir doch mal ehrlich, ihm fehlt nichts außer dem … außer dem, was ihm eben fehlt. Warum kann er nicht alleine wohnen oder sich eine gelangweilte Witwe angeln, die bereit wäre, ihn bei sich aufzunehmen?«
    Jo dreht sich um und schaut mich an. »Ich erwarte nicht von dir, dass du ihn mir dann und wann abnimmst.« Ihr Tonfall bewegt sich wieder in Richtung normaler Sprachtemperatur. »Du hast genug mit

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