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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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brav und hatten zusammen sieben Zähne. Die Nase kannte und schätzte er bereits.
    Sie bogen in eine Gasse mit Kopfsteinpflaster, hielten hinter einer kleinen Kreuzung. Schneider nickte in Richtung des dunkelgelben Eckhauses und machte Anstalten auszusteigen.
    »Warte«, sagte Adamek.
    Es gab drei Möglichkeiten.
    Erstens, Thomas Ćavar war nicht bei Kriegshandlungen ums Leben gekommen, sondern ermordet worden, vielleicht sogar hier, in Rottweil, nicht in Bosnien.
    Zweitens, er lebte.
    Drittens, die Phantasie ging mit ihnen durch.
    »Er wurde ermordet«, sagte Schneider. »Und dein Exdiplomat hängt mit drin.«
    Adamek seufzte. »Wenn wir da reingehen, wissen wir von nichts, okay? Und stellen vor allem keine unbewiesenen Behauptungen auf.«
    Ein dünnes Lächeln, die rechte Braue zeigte sich über dem Fliegenauge. »Was tun wir dann?«
    »Das, was wir am besten können.«
    »Schießen?«
    »Nerven.«
    Hunderte kreisrunde Augen im Halbdunkel, reglos von den Wänden starrend, als verfolgten sie jede Bewegung im Raum mit Argwohn. Sprachlos blickte Adamek auf die Zierteller, ein Albtraum aus Porzellan und Kitsch.
    Sie setzten sich an den Esstisch. Das Licht war ausgeschaltet, vor den beiden Fenstern standen Schwaden von Zigarettenrauch.
    »Was ist mit meinem Sohn?«, fragte Petar Ćavar.
    Er sprach langsam und mit starkem Akzent, seine Stimme klang nach Verbitterung und Zorn. Dorthin mussten sie, dachte Adamek, in das Leid und die Wut. »Nicht Milo«, sagte er. »Thomas.«
    Ćavar stutzte. »Thomas ist tot.«
    »Mein Beileid«, murmelte Schneider, die Augen unnatürlich groß, der Mund süßlich klein und rund. Adamek heftete den Blick auf ihr Haar, das einen unsichtbaren Lichtschein zu reflektieren schien, inmitten des farblosen Raumes leuchtete wie eine wohltuende Miniatursonne.
    Vielleicht brachte es auch nur die Scheinheiligkeit zum Glimmen.
    »Wie ist er gestorben?«, fragte er.
    »Die Serben haben ihn ermordet, in Bosnien, am 12. September 1995.« Ćavar drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Die Fingerkuppen waren gelb verfärbt, die Stimme wässrig, hin und wieder hustete er. Er war unrasiert und ungekämmt, das Hemd falsch geknöpft und ungebügelt, er roch nach Schweiß und Vernachlässigung. Ein Mann, der zu viel verloren hatte, dachte Adamek. Einen von zwei Söhnen und die Ehefrau.
    »Hat er dort gekämpft?«, fragte Schneider.
    Ćavar stieß ein Schnauben aus. »Was tut Soldat im Krieg?«
    »Er kämpft«, sagte Adamek ruhig.
    »Er hat für Heimat gekämpft und ist für Heimat gestorben.« Ćavar hielt ihnen die Zigarettenschachtel hin, sie lehnten ab.
    »Die Heimat, das ist Kroatien?«
    »Was sonst? Wir sind Kroaten.«
    »Thomas wurde in Deutschland geboren«, warf Schneider ein.
    Ćavar klopfte sich gegen die Brust. »In Herz er war Kroate.«
    »Wie Sie«, sagte Adamek.
    »Wie ich«, bestätigte Ćavar.
    Petar Ćavar, 1940 im slawonischen Osijek geboren, 1969 als Gastarbeiter ins Land gekommen, nachdem die Bundesrepublik mit Jugoslawien ihr achtes und letztes Anwerbeabkommen geschlossen hatte. Anfangs war er in Stuttgart in der Asbestindustrie beschäftigt gewesen, 1970 hatte er bei einem Rottweiler Unternehmen als Monteur von Großflächenwerbung angefangen und Frau und Sohn nachgeholt. 1971 die Geburt von Thomas, 1995 dessen Tod, 1996 war Ćavars Frau »an der Trauer eingegangen«, wie Schneider »in der Stadt« erfahren haben wollte, genauso, dass Ćavar seit 1998 berufsunfähig war, weil die Ärzte bei ihm Lungenfibrose diagnostiziert hatten. Jetzt hoffe er, hatten die Gewährsleute »in der Stadt« berichtet, auf den baldigen Tod, bislang jedoch vergeblich – vielleicht weil der Tod dieser Familie nicht noch mehr Leid zufügen wolle.
    »War Thomas in der kroatischen Armee?«, fragte Adamek.
    » Domobranska pukovnija. 134. Heimatschutz-Regiment.«
    »Unter dem Kommando von Ante Gotovina?«, erkundigte sich Schneider.
    Ćavar nickte sichtlich überrascht, Adamek war beeindruckt.
    Die nächste Zigarette glomm auf.
    Adameks Blick glitt an Schneider vorbei zum Fenster gegenüber, er sehnte sich nach Luft und Licht. Unauffällig neigte er den Kopf zur Seite. Zwischen Dachfirsten sah er blauen Himmel, auf Fensterscheiben spiegelte sich die Sonne.
    Er dachte an den Balkon im 24. Stock, an Freiheit, Weite, Sonnenlicht. An die Wärme von Karolins Körper, wenn sie sich frühmorgens an ihn schmiegte, um ihn noch ein paar Minuten im Bett zu halten.
    Das Leben konnte auch anders. Konnte einem die Frau und

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