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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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locken. Ich muss ihn zum Angriff zwingen. Er soll mir seinen wahren Charakter offenbaren, dieser Halawachl, er muss heraus aus seinem Fuchsbau. Fraul begann seine Figuren hin und her zu schieben, bestellte sich zwischendurch Sodawasser und betrachtete die Stirn von Wilhelm Rosinger, als könnte er hinter ihr die Umrisse eines Offensivplans entdecken. Rosinger aber hatte erkannt, dass die erste Partie ein Test gewesen war und es jetzt um das wirkliche Kräftemessen ging. Im Grunde ist er so vorsichtig wie ich, dachte er. Er will sich so wenig überraschen lassen wie ich. Aber jetzt hat er was übersehen. Den g-Bauern könnte ich gewinnen, wenn ich ihn zum Läufertausch zwinge. Ich entblöße zwar etwas die rechte Flanke, aber so schnell kann er mich dort nicht erwischen. Oder ists eine Falle, jawoll, ah ja, dann kommt er mit dem Turm hintennach, raffiniert. Rosinger begann seinerseits, die Figuren hin und her zu schieben und abzuwarten.
    »Ziemlich langweilige Partie«, sagte Fraul, nachdem eine gute halbe Stunde vergangen war. »Ich werd hungrig.«
    »Wir können unterbrechen.«
    »Hängen?«
    »Nein, bloß unterbrechen.«
    »Vickerl, zwei Menü.«
    Sie stellten das Brett in die Fensternische, Fraul holte sich den Kurier und war für eine Weile mit dem Gesicht darin verschwunden, während Rosinger aus dem Fenster sah. Er bemerkte, dass der Besitzer der Überfuhr, der sich Rabindranath nannte, obwohl er aus Floridsdorf stammte, die Schüttelstraße querte und vor dem Eingang des Wirtshauses verschwand. Er muss nun selber fahren, dachte Rosinger, weil ja der kleine Robert niemanden mehr übern Donaukanal bringen kann. Rabindranath kam ins Gasthaus und grüßte. Er hatte einen dunkelroten Turban auf dem Kopf und zeigte beim Gruß seine hellgelben Zähne. Rosinger zwinkerte, rieb sich etwas aus dem Auge und winkte dem Fährmann zu. Zurückgedreht, schaute er auf die Überschriften des Kurier, die ihm Fraul beim Lesen und Umblättern jeweils unwillkürlich entgegenhielt. Schließlich stand Fraul auf, legte die Zeitung auf den Nebentisch, blieb einen Moment stehen und ging auf die Toilette. Während er vor der Pissmuschel stand, hörte er aus einer der beiden Kabinen Kotzgeräusche. Sie haben Cyrankiewicz wieder in der Mangel gehabt, dachte er. Sein Harnstrahl begann zu stottern, es wurde ihm heiß, er ließ sein Glied los und stützte sich mit beiden Händen an der verfliesten Wand vor ihm ab. Die Kabinentür wurde geöffnet, und ein Mann mit Turban trat heraus, warf einen Blick auf Fraul.
    »Ist Ihnen schlecht?«
    »Nein«, antwortete Fraul, bedeckte sich mit der linken Hand, kam zum Ende und packte ein.
    »Aber mir, großer Gott«, lächelte Rabindranath. Er wusch sich die Hände und betrachtete durch den Spiegel Fraul, der hinter ihm stand und wartete.
    »Ich bin der Rabindranath, der Chef vom kleinen Robert.«
    Fraul nickte. Der Mann ging hinaus, und Fraul hielt seine Finger kurz ins rinnende Wasser. Exchef, dachte er. Als er zum Tisch zurückkam, stand das Essen da und dampfte. Rosinger saß vor seinem Teller und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
    »Sie hätten längst anfangen können, Rosinger. Immer diese Umstände.«
    »Ich wollte halt nicht allein –. Entschuldigen Sie.«
    »Essen wir.«
    »Mahlzeit, Herr Fraul.«
    »Jawohl. Der österreichische Beamtengruß.«
    »Wie?«
    »Mahlzeit.«
     
    Nach dem Essen nahmen sie die Schachpartie wieder auf. Rabindranath stand an der Theke und trank ein Achtel Rot, bevor er wieder zur Überfuhr hinunterging, wo schon einige verärgert warteten.
    Das Spiel endete remis. Die beiden sahen sich an. Dann lachten sie, standen auf und zahlten. Rosinger wartete auf die Überfuhr, Fraul ging stromaufwärts, wusste aber nicht, was er die nächste Stunde tun sollte. Schließlich drehte er um, ging am Praterer vorüber und weiter und über die Stadionbrücke und Schlachthausgasse zum Einundsiebziger. Als Rosinger daheim angekommen war und sich an seinem Fensterplatz niederließ, fiel ihm eine Überschrift aus dem Kurier ein:
    »Sein Pferd war bei der SA .«
    Was soll denn das heißen, dachte er, und Unruhe stieg in ihm hoch.
    23.
    Die Wirkung der Pressekonferenz und das angeschlossene Interview mit Marits rissen die Initiatoren des Club Diderot aus ihrer Gemächlichkeit. Sie waren nach der Gründung im Grünen Anker vor sich hin getrabt und hatten sich im guten alten Antifaschismus geübt. Apolloner hatte es von Anfang an gestört, schon bei der Konstituierung wies er auf die

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