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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Angejahrtheit des Antifabegriffs hin und wollte, dass »wir nicht nur Anderes Österreich heißen, sondern auch etwas dazu tun«. Unterstützt wurde er lediglich von Boaz Samueli, der sich anfangs nur als Vertreter der jüdischen Hochschüler im Club sah, schnell aber beschloss, aus diesem Ghetto herauszugehen und sich restlos beim »Anderen Österreich« zu engagieren. Die übrigen Gründungsmitglieder, teils trotz ihrer Jugend bereits alte Schlachtrösser aus der linken Sozialdemokratie oder ernüchterte Maoisten und Trotzkisten, erweckten sowohl bei Apolloner als auch bei Samueli den Eindruck, als könnten sie vom bloßen Politisieren nicht lassen. Sie legten eine unübersehbare Skepsis an den Tag, was spezifische Tathandlungen betraf. Nach dem Motto »Es ist alles schon da gewesen« hörten sie sich amüsiert die Pläne des Apolloner an, um sie als aktionistisch oder nicht zielführend abzuurteilen. Sie wollten eher immer wieder die Lage diskutieren, konkrete Analysen erstellen, anhand deren sich alles Weitere wie von selbst ergeben sollte. Bloß der Sohn des früheren Kanzlers, der seinerseits nun krank und grantig auf Mallorca saß, sympathisierte mit Apolloner und Samueli; auch er war solcher Redensarten
müde, die sich stets einstellten, wenn »durch Aktionen die Lage sinnlich manifest gemacht werden sollte, damit in die Anschauung dringt, woran es krankt«.
    So saßen sie alle im Grünen Anker und redeten sich die Köpfe heiß über die Unverschämtheit, mit der Johann Wais seine Vergangenheit beschwieg oder behübschte.
    »Ich denke«, sagte Samueli, »jetzt kommt durch diesen Menschen der Nationalcharakter der Österreicher heraus. Das ist der Herr Karl, vor dem uns Qualtinger schon in den Sechzigern gewarnt hatte.« Apolloner fuhr fort:
    »Niemals haben wir uns je mit der Nazizeit auseinandergesetzt, keiner hat hier die Frage: Vati, was hast du eigentlich im Krieg gemacht? gestellt, alle haben wir uns hinter der Opferthese, die übrigens dein Vater richtig salonfähig gemacht hat, versteckt«, und er sah zum Sohn des alten Kanzlers hinüber.
    Judith Zischka schaute abwechselnd Boaz und Roman bei ihren Tiraden zu und fand es übertrieben, wie die beiden vor sich hin glühten und alle anderen anstecken wollten, bis sie an sich selbst bemerkte, dass sie ständig zustimmend mit dem Kopf nickte.
    »Man müsste«, sagte Boaz Samueli am Ende der Debatte, »aus diesem Satz, den Marits herausgeblasen hat, etwas machen.«
    »Der war sicher nicht von Marits«, sagte Apolloner, »den muss ihm vorher wer aufgeschrieben haben.«
    »Egal«, entschied Samueli. »Wir müssten diesen Pferdsatz auf Flugblätter schreiben. Der Falter und auch das Signal sollten ihn als Motto in jeder Ausgabe platzieren. Er sollte zum Kulturerbe des Anderen Österreich werden und dem bis dato gebräuchlichen Motto entgegengesetzt werden.«
    »Welches da lautet?«, fragte Judith spöttisch.
    »Glücklich ist, wer vergisst«, antwortete Samueli. »Übrigens, eh ichs vergesse: Ich glaub, wir haben ein Lokal gefunden in der Hohenstaufengasse.«
    Während er die Beschaffenheit dieser Immobilie erläuterte, war Johannes Tschonkovits eingetreten. Judith sah ihn und zupfte Roman am Jackett.
    »Schau«, murmelte sie, »ein Spiönchen direkt von der Regierung. So wichtig seid ihr.«
    »Ihr? Du nicht?«, zischte Roman sie an, stand auf und ging Johannes entgegen. Bevor er noch den Mund aufmachen konnte, lachte Tschonkovits ihm ins Gesicht.
    »Ein Geheimklub? Ich hab gedacht, da darf ein jeder her.«
    »Jeder, außer solchen, die unsere Beschlüsse, bevor wir sie selbst noch begriffen haben, bereits dem Bundeskanzler und der Stapo mitteilen.«
    »Ja klar, Stapo. Schau ich so aus? Außerdem, wenn ich jede Blähung unserer demokratischen Gegenöffentlichkeit dem Theo mitteilen tät, wär er gar nicht handlungsfähig. Dem ist jetzt schon alles zu überfrachtet. Aber du wirst verstehen –«
    Tschonkovits unterbrach sich und sah zum Tisch hinüber, wo die Teilnehmer der Sitzung auf ihn starrten.
    »Okay«, sagte er. »Ich geh wieder. Ich ruf dich an.« Er drehte sich am Absatz herum, vollführte eine leicht geknickste Pirouette und verließ das Lokal.
    »Bitte nicht«, rief ihm Apolloner in den Rücken und kam zurück zum Tisch.
    Einer, den Apolloner zur Fraktion der hilflosen Antifaschisten zählte, der altbekannte Franz Reisner, früher einmal Chef des Verbandes Sozialistischer Studenten, erhob sich.   
    »Keine Sektierereien«, sagte er laut.

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