Der Kalte
seiner Frau, »den Herren Inspektoren Ahnungslos & Schasäuglat Bescheid zu stoßen«. Dabei ignorierte er seine Hausnachbarn, die ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Bewunderung ansahen.
Vor seinem Atelier besah er das Produkt aus dem schwarzen Kübel. Es roch beträchtlich. Krieglach drehte sich um, wollte in die Meierei gehen, um von dort aus anzurufen, stieg dann doch über den Haufen, holte sich das Notizbuch, in dem die Nummer des Signal stand. Am Telefon verlangte er Frau Zischka. Er bekam ihre Privatnummer und erreichte sie daheim.
»Kommen Sie sofort her. Eine Überraschung. Und eine Gschicht. Eine schöne Gschicht. Duftend.«
16.
Zoltán Nemecsek hatte auf die Wahl von Wais zum österreichischen Bundespräsidenten auf seine Weise reagiert. Der als Rezsö Szilasi in Budapest neunzehnfünfzehn gebo
rene Schriftsteller und Dramatiker begann über den Satz »Ich habe nur meine Pflicht getan« nachzudenken. Als Dreiundzwanzigjähriger ging er einst mit seiner Freundin aus Ungarn fort und gelangte über Umwege nach New York. Er schrieb seine Gags sofort auf Englisch, Novellen auf Ungarisch, gleichsam für sich selbst, Theaterstücke zuerst auf Deutsch und übersetzte sie mit Hilfe von Flora Rosenstock, nun Florence Rosen, ins Amerikanische. Flora war seine letzte Budapester Liebe gewesen. Ihr Vater hatte eine Schuhfabrik in Ferencváros besessen und war Anhänger von Horthy gewesen. Flora hatte Dolmetsch studiert, und noch bevor sie Rezsö kennenlernte, hatte sie weggewollt aus dem Ungarland, das übervoll war mit Antisemiten und Großmagyaren. Wenn sie an der Donau, auf einer Bank sitzend, den Schiffen nachsah, die so schnell stromabwärts und so bedächtig stromaufwärts fuhren, dachte sie, dass die Donau in die falsche Richtung fließt. Sie wünschte sich mit einem Boot nach Wien und von dort nach Triest oder Hamburg und dann nach New York, New York.
»Nach Osten gehts schnell, nach Westen ists mühselig«, sagte der junge Mann neben ihr auf der Bank, nachdem er dieses wunderschöne Mädchen bereits nach dem ersten Blick zur Frau haben wollte.
Die Fabrikantentochter und der Schneidersohn standen wenig später von der Bank auf und küssten sich im Stehen weiter. Sie reisten nach Wien aus, einige Tage bevor der Führer die Stadt und das Land Österreich ins Deutsche Reich heimführte. Mit Grausen erlebten sie eine sogenannte Reibpartie, alte Juden und Jüdinnen schrubbten mit Zahnbürsten den Gehsteig in der Babenbergerstraße, da hatten sie schon die Fahrkarten nach Zürich. Sie waren noch keine Flüchtlinge, sondern Touristen. Widerwillig überwies Floras Vater Geld in die Schweiz. Schließlich ging es weiter
nach England. Hier wollte Rezsö bleiben, aber Flora fand, England sei viel zu nah beim Führer. Mit dem Schiff kamen sie im Sommer neunzehnneununddreißig in New York an.
Florence fand sich gut zurecht. Rezsö beschloss, seinen magyarisierten Judennamen Szilasi abzulegen. Zum Erstaunen seiner neuen amerikanischen Freunde nannte er sich nicht Johnny Shine oder so ähnlich, sondern eben Zoltán E. Nemecsek nach der Hauptfigur eines Romans von Ferenc Molnár.
»Wer soll das aussprechen?«, fragte Florence.
»Sie werden es lernen.«
Die Gagschreiberei brachte ihn nach Hollywood, das sich zunehmend mit Davongejagten füllte. Er arbeitete mit Billy Wilder, Charles Chaplin, schrieb seine Geschichten und Parabeln, währenddessen der europäische Kontinent und schließlich sogar das Ungarland im riesigen Blutkessel versank.
Nach dem großen Abschlachten blieben sie noch eine Weile in Amerika, nun wieder in New York, und Nemecseks Stücke hatten Erfolg am Broadway. Da sich Josef Wissarionowitsch Stalin auch Ungarn genommen hatte, dort acht Jahre nach Kriegsschluss antititoistische und antizionistische Prozesse stattfanden, angezettelt von Stalin, durchgeführt vom Juden Rákosi zuerst noch gegen Rajk dann gegen den Juden Gábor Péter und »Konsorten«, hatte Nemecsek keine Lust heimzukehren. In den folgenden Jahrzehnten aber setzte sich von den drei Sprachen eine durch. Zoltán schrieb nur noch auf Deutsch, und schließlich zogen sie zum Missvergnügen von Florence nach Wien. Er leitete dort für kurze Zeit ein kleines Theater, experimentierte mit eigenen und fremden Stücken herum. Anfang der Achtziger ließen sie sich in Westberlin nieder, denn seine Frau
wollte nicht schon wieder an der Donau sitzen und Schiffe nach Osten fahren sehen.
Das Ergebnis seines Nachdenkens über den Satz von der
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