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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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sagen wollte, biss und schluckte ihn schließlich hinunter, schlug nochmals auf den Tisch, sodass das schlanke hohe Salzfässchen herunterfiel. John hob es auf, stellte es an seinen Platz, beugte sich zu Stefan.
    »Wie gefällt es Ihnen in Israel?«
    »Er hat doch noch nichts gesehen«, sagte Ruth.
    Blum deutete mit der Pfeife zum Fenster, hinter dem die Altstadt lag. Dolores sagte schnell: »Dahin gehen wir nachmittags.«
    »Was, jetzt nach dem Attentat?«, fragte Esther.
    »Ach, die werden nicht an zwei Tagen hintereinander zustechen«, sagte Sissy.
    »Und Sie wissen so etwas ganz genau«, sagte Esther. Boaz warf einen kurzen Blick auf die Schmelczerschwestern.
    »Sollen wir mit euch kommen?«
    »Wir möchten allein gehen. Das heißt allein mit den Touristenmassen«, sagte Dolores. Ernst Segal kratzte sich nachdenklich am Kinn, dann schüttelte er den Kopf.
    »Ich schicke euch Meschullah mit. Keine Widerrede.« Und er erhob sich, um den Chauffeur anzurufen.
    Nach dem Essen, die Schmelczers hatten sich schnell verabschiedet, saßen sie noch bei Kaffee und Kuchen. Me
schullah erschien und fuhr Dolly und Stefan zum Jaffator. Er wollte nicht ins jüdische Viertel mit, sondern sagte, er werde dort auf sie warten, und zeigte auf den Platz mit Taxis.
    Es war ziemlich warm, als die beiden am Westwall eintrafen, und der Schweiß rann ihnen herunter. Vor der Klagemauer trennten sie sich kurz. Sie ging zu den Frauen. Davor hatte sie Stefan einen Stift und einen Zettel zugesteckt und ihn aufgefordert, einen Wunsch draufzuschreiben und in die Ritzen der Mauer zu stecken. Sie zog eine Kippa aus der Handtasche und eine Spange, befestigte sie auf Stefans Haar und küsste ihn auf beide Augen.
    Als sie nach einer Stunde zurückkamen, war Meschullah nicht da. Stefan war verwundert, aber Dolly ging unbeeindruckt zu einem Taxi. Auf dem Weg zurück begann der Taxler in einem gebrochenen und dennoch geläufigen Deutsch Sätze aus sich herauszusprudeln.
    »Die Araber«, sagte er, nachdem er erfragt hatte, woher seine Fahrgäste stammen, »haben nixnimmer eine Beziehung zu Land, eine Liebe zur Erde. Wir mussten das Land nehmen, das sie Jahrzehnte, Jahrhunderte haben verrotten lassen. Das alles ist jetzt unser Land, unsere Erde und wird es bleiben, bis der Messias auf uns kommt, und danach erst recht. Die Araber haben kein Gefühl für dieses Land. Denen kann es egal sein, wo sie leben. Arabien ist groß. Nein, da können sie noch so sehr mit ihren Messern uns bedrohen. Das ist unser Land. Es war es, es ist es. Es wird es sein.«
    »Sie sind aber ein Nationalist«, sagte Dolores.
    »Ist das nicht rassistisch, was Sie da von sich geben?«, sagte Stefan zu seiner eigenen Überraschung.
    Der Taxler schob den rechten Ärmel zurück und zeigte den beiden eine blau eintätowierte Nummer.
    »Ich war mit zwölf Jahren schon in Auschwitz«, sagte er mit heiserer Stimme. »Du wirst mir erzählen, wer oder was rassistisch ist? Du wirst uns sagen, welches Land wir haben dürfen und welches nicht. Du?«
    Stefan schwieg. Dolores sagte: »Bleiben Sie stehen.«
    »Mit Vergnügen. Chonte.« Als Dolores zahlen wollte, also ihm wütend die Schekel von draußen durchs Fenster hineinwarf, nahm er sie, warf sie zurück und fuhr weg. Sie standen mitten auf der King George.
    »Was hat er zu dir gesagt?« Stefan stand da, schaute dem Taxi nach, als wollte er ihm jeden Moment hinterherlaufen.
    »Vergiss es«, sagte Dolly. »Schau, da vorn ist das Fink, wo wir gestern waren. Einen Campari?«
     
    Nächsten Tag lud Dolores Boaz Samueli ein, mit ihm, Sissy und Stefan eine kleine Rundreise in einem gemieteten Renault zu machen. So kamen sie über Tel Aviv und Haifa nach Akko, streiften den See Genezareth, über den Boaz einen Witz nach dem anderen erzählte, gingen, nachdem sie bei den Samuelis in Tel Aviv übernachtet hatten, tagsüber ein wenig an den Strand, abends ins Café Tamar in der Schenkin Street. Dolly und Stefan nahmen spätabends ein Taxi nach Jerusalem zurück, nachdem sich Meschullah geweigert hatte, die beiden abzuholen.
    »Euer Chauffeur macht, was er will«, sagte Stefan im Taxi, als sie wiederum an den zerschossenen Panzern vorüberfuhren.
    Dolores lächelte und schwieg. Ihre Nacht war stürmisch wild und traurig bitter. Um elf Uhr ging Stefans Flieger.
    22.
    Zurück aus Israel, zog sich Stefan in die Hardtgasse zurück und las weitere Stücke von Sartre. Gelegentlich holte er die Gitarre, stellte sich vor den Spiegel und sang die alten Hadern von

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