Der Kalte
wieder auf die Bühne bitten wollte, fand er ihn nicht. Astrid stellte sich dicht zu Fraul und zischte ihm zu:
»Jetzt nimm dich zusammen. Du bist unmöglich.«
»Halts zsamm«, brüllte Karl los, »halts es alle zsamm.«
Er schaute zu Adel hinunter, der aufmerksam und wie geduckt zurückschaute.
Karl sah sich unversehens als Bub unter einer Straßenlaterne stehen, es war Abend in der Rustenschacherallee, er war mit seinem Freund Franzi unterwegs. Franzi wollte mit Steinen auf eine Laterne schießen. Karl stellte sich direkt unter sie und warf einen großen Stein, indem er ihn hinaufschleuderte. Nicht nur die Laterne kam herunter, auch der Stein, und all das fiel dem Karli auf den Kopf. Es tat sofort so weh, aber Franzi stand daneben und lachte. Nächsten Tag lachte die ganze Klasse.
Karl Fraul begann zu Peter Adel hinunterzuschluchzen. Der verzog wieder einmal sein Gesicht und imitierte Karls Geschluchze, sodass Astrid und Rüdiger Scherfele stumm von einem zum anderen blickten. Karls Weinen steigerte sich, Kreischtöne mischten sich dazu, er warf sich auf den Boden und begann sich zu wälzen. Adel drehte sich aus der Sitzreihe heraus und eilte auf die Bühne, begann Karl zu spiegeln. Er wollte sich schon auf den Bühnenboden legen und mit seiner Wälzerei anfangen, hörte durch das Geweine ein Geräusch, schaute zum Eingang. Seine Stieftochter war eingetreten, blieb abrupt stehen, lauschte dem Geheul und versuchte es irgendwie einzuordnen. Adel sah auf ihre gerunzelte Stirn, er hielt inne, etwas ergriff ihn, sodass er zu wimmern anhob und amüsiert bemerkte, dass er ins imitierende Weinen hineinschlitterte und nicht mehr
damit aufhören konnte, sondern dass ihn der Krampf zunehmend und schließlich voll erfasste. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er griff sich auf Kopf und Brust, und sein Weinen ging in ein Japsen über. Katharina Dronte kam nach vorn gelaufen, umfasste ihn und rief:
»Rüdiger, die Rettung!«
Karl Fraul lag noch auf dem Fußboden, als Adel neben ihm zu Fall kam. Karl hob den Kopf, sah in das verzerrte Gesicht von Katharina, wurde ruhig und still. Er kam auf die Beine und lief hinaus zum Portier. Scherfele stand vor der Loge, hatte den Hörer in der Hand, legte auf.
»Die Rettung kommt. Verdammt noch mal, Karl, wir haben genug von dir. Die Probe ist zu Ende. Geh!«
Fraul schüttelte den Kopf.
Zwei Stunden später verließ Peter Adel mit Katharina das AKH . Die Ärzte hatten nichts gefunden. Als er in der Herrengasse unter der Dusche stand, begann er ein Lied zu pfeifen. Im Bademantel ging er zum Telefon, teilte Dietger Schönn mit, dass er die Regie zurücklege. Als Grund gab er an, es mache ihm keinen Spaß. Schönn wieherte. Adel nahm den Hörer vom Ohr und hielt ihn seiner Frau hin.
»Schönn wiehert. Nimmt mich überhaupt niemand ernst?« Er schlug sich mit dem Hörer auf die Stirn, legte ihn wieder ans Ohr. »Lach nur.«
»Immer deine Witze, Peter. Soll ich den Fraul feuern?«
»Nee. Feuer mich.«
»Willst du das dem Zoltán antun? Einen Tort für ihn, wenn ich für dich einspringen muss.«
»Was, du willst den HEILSBRINGER übernehmen?«
»Was bleibt mir übrig? Außer du scherzt.«
»Ich habe Kopfschmerzen, Dietger. Ich bin sehr überarbei
tet. Es fällt mir gornix ein. Deine Leute sind Kinder. Mir ist schlecht. Ich gebe dir die Margot.«
»Warte, Peter. Was hältst du von einer Pause? Kommt mir auch recht. Mitte Juni noch Terminkonferenz und ab siebten September anno Domini siebenundachtzig dalli, dalli!?«
»Besprich das mit Margot. Grüß dich der Himmel, Herr Direktor.«
Margot nahm den Hörer.
23.
Johann Wais stand am Fenster und weidete sich an seinem Heldenplatzblick. Schön, der Flieder, dachte er, und ein Fiaker hat eine große weiße Bletschen auf der Brust, eine Chrysantheme? Er folgte einem jungen Paar, das zum äußeren Burgtor schritt. Es war fünf Uhr nachmittags, gleich würde Novacek vom Presserat zurückkommen, Weber war beim Botschafter von Katar, Jungnickel lotete die gegenwärtige Konfliktintensität zwischen Bahrein, Katar und den Saudis aus, die wegen des Öls mit diversen Säbeln rasselten, wie Weber sich ausdrückte. Hoffentlich verdirbt mir der Grobian nicht noch diese Reise mit seinen Poltereien, dachte Wais. Er hatte die Hände auf dem Rücken über dem Kreuz ineinander verfingert, stand fast unbeweglich, bloß sein Oberkörper beugte sich etwas nach vorne und wieder zurück. Es war still um ihn, er konnte seinen Atemzügen zuhören, wie
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